„Fast eine Art Obsession“

Von der englischen Ausgabe von al-Dschasira bis „Embedding“: Der Nachrichten-Chef von BBC World, Jeremy Hillman, über die Folgen des 11. September 2001 für den Nachrichtenjournalismus weltweit

Interview Steffen Grimberg
und Hannah Pilarczyk

taz: Herr Hillman, hat der 11. September 2001 das Nachrichtengeschäft verändert?

Jeremy Hillman: Es hat nicht den Journalismus verändert, aber ganz klar die Nachrichten-Agenda. Natürlich haben wir schon vorher über Terrorismus berichtet. Aber mit 9/11 gab es auf einmal eine Art Rubrik, unter die man alles fassen konnte: die Bomben von Madrid, von Istanbul, von Bali. Das ergibt nun eine Großerzählung: Das ist Terrorismus, das ist eine Bedrohung der westlich-liberalen Gesellschaft, dort kommt sie her. Ich will das nicht Obsession nennen – aber das trifft es schon fast: Es gibt eine unglaublich breite Berichterstattung, über alle Aspekte.

Zynisch gesehen, könnte man meinen, 9/11 sei ein Glücksfall für den Nachrichtenjournalismus gewesen: Es gibt nicht nur unglaublich viel Stoff, er lässt sich auch sehr gut fürs Fernsehen aufbereiten – eindrückliche Bilder, ein leicht zu dramatisierender Konflikt …

Sagen wir es so: Seit 9/11 gibt es ein neues Publikum für internationale Nachrichtensender. Menschen, die wissen wollen, was passiert ist – und die verstehen wollen, woher die Bedrohung kommt, wie wir alle damit umgehen. Dieses Erklärungsvakuum haben die Nachrichtenkanäle und andere Informationssendungen gefüllt.

Haben die westlichen Nachrichtensender nicht auch an Einfluss verloren? Der Aufstieg von al-Dschasira zeigt, dass die Menschen im arabischen Raum oft eher „einheimischem“ Journalismus vertrauen.

Ich glaube nicht, dass das so stimmt. Es ist meiner Meinung nach auch wenig sinnvoll, über 9/11 unter der Fragestellung: „Welcher Sender hat Einfluss gewonnen, welcher verloren?“ zu diskutieren.

Die BBC ist gerade dabei, einen eigenen Nachrichtenkanal auf Arabisch aufzubauen.

Das ist keine ganz neue Idee – es gab so einen Kanal bereits, kommerziell war er aber nicht erfolgreich und wurde daher wieder eingestellt. Viele Menschen, die dort gearbeitet haben, sind dann losgezogen und haben al-Dschasira gegründet. Aber ich denke, dass es wichtig ist für die BBC, in diesen Zeiten einen arabischen Kanal zu haben: Es ist aktuell ein derart wichtiger Teil der Welt. Das soll aber nicht heißen, dass wir das Stammpublikum von BBC World aus den Augen verlieren – das wird immer das Rückgrat unseres Senders sein. Ein zentraler, globaler Nachrichtenkanal auf Englisch, dazu ein ergänzendes Programm auf Arabisch ist unsere Strategie.

Was halten Sie vom geplanten englischen Kanal von al-Dschasira?

Mal abwarten, ob der je auf Sendung geht – geredet wird darüber ja schon seit zweieinhalb Jahren. Aber keine Frage: Wir befinden uns in einem harten Wettbewerb. Wir konkurrieren jetzt schon mit CNN – und wir würden auch mit einem englischsprachigen Programm von al-Dschasira um Werbung, Sponsoren und Marktanteile konkurrieren. Damit da keine Missverständnisse aufkommen: BBC World ist ein kommerzielles Unternehmen – allerdings eines, das dem öffentlich-rechtlichen Auftrag und den journalistischen Werten der BBC verpflichtet ist.

Hinter dem geplanten arabischen Kanal stehen nur knallharte kommerzielle Interessen?

Ja, es gibt kein großes soziales Motiv nach dem Motto: den arabischen Massen die Welt ins Haus bringen. Es gibt ein paar gute journalistische Gründe, auf Arabisch zu senden, auch um das Verständnis für die BBC in den arabischen Staaten zu fördern. Aber es bleibt in erster Linie eine kommerzielle Entscheidung.

Nach 9/11 hat sich das Internet als Quelle für zusätzliche Informationen bis hin zu Verschwörungstheorien etabliert. Wie gehen Sie damit um?

Es gibt so viele Quellen für Informationen, für Gerüchte und Interpretationen. Das macht das Ganze sehr spannend, und es ist wunderbar, dass Menschen ihre Informationen veröffentlichen, ihre Ideen testen können. Aber natürlich gibt es auch Nachteile. Kurz gesagt: Es ist eben jede Menge Mist darunter. Aber das betrifft die BBC nicht. Wir sind eine etablierte, sehr seriöse, vertrauenswürdige Nachrichtenmarke. Die Menschen kommen zu uns, weil wir für sie „Fact“ und „Fiction“ trennen.

Im Vorfeld des Irakkrieges wurden über seriöse Nachrichtenmedien auch Falschinformationen verbreitet – Stichwort Massenvernichtungswaffen.

Man kann doch nicht die Medien dafür belangen, diese Behauptungen verbreitet zu haben. Die BBC hat damals auch intensiv über ablehnende Haltungen in Europa berichtet. Wir haben das unvoreingenommen geschildert – unsere kritische Berichterstattung in Sachen Massenvernichtungswaffen hat ja schließlich zu großem Streit mit der britischen Regierung geführt.

Eine der journalistischen Neuheiten nach 9/11 war das umstrittene „Embedding“ von Journalisten im letzten Irakkrieg. Wie steht die BBC zu dieser Art der Berichterstattung?

Wir haben nach dem Irakkrieg unsere Berichterstattung sehr genau evaluiert. Eines unserer Ergebnisse war: „Embedding“ war auf jeden Fall wesentlich sicherer für die Journalisten. Ich selbst habe aus nächster Nähe gesehen, wie zwei britische Kollegen, die nicht „embedded“ waren, getötet wurden. Sicherheit geht immer vor – das ist die Politik bei der BBC wie auch bei vielen anderen Sendern.