POLENS REGIERUNG MACHT STIMMUNG GEGEN DIE DEUTSCHE MINDERHEIT
: Schiefer Vergleich mit dem Ruhrgebiet

Jetzt ist die deutschstämmige Minderheit in Polen an der Reihe. Die polnische Regierung macht Stimmung gegen das Gesetz, das sie bei Wahlen von der Fünf-Prozent-Regelung ausnimmt. Zwar sicherte Premier Kaczyński Merkel gestern in Helsinki zu, dass alles beim Alten bleibt. Aber innenpolitisch wurde das Klima damit weiter verschärft. Und darauf kommt es der Rechtsregierung an.

Noch am Freitag hatte Kaczyński argumentiert, die Ausnahmeregelung stelle ein durch nichts zu rechtfertigendes Privileg dar: Schließlich würden den Polen deutscher Staatsangehörigkeit in Deutschland nicht die gleichen Sonderrechte eingeräumt. Doch hier irrte Kaczyński, denn das Bundestagswahlgesetz sieht eine solche Ausnahmeregel durchaus vor. Das Problem besteht nur darin, dass die polnischstämmigen Deutschen – anders als die Sorben und Dänen oder eben die deutschstämmigen Polen in Oberschlesien – bei uns keine angestammte „autochthone“, in einem geschlossenen Siedlungsgebiet lebende Minderheit darstellen. Weil sie über die Bundesrepublik zerstreut leben und nur in geringer Zahl als Minderheit organisiert sind, wäre es für sie erlaubt, aber wohl eher schwierig, mit einer „Polen-Partei“ bei Wahlen erfolgreich ins Rennen zu gehen.

Die polnische Regierung versucht jetzt, die gesamte polnische Einwanderung ins Ruhrgebiet der letzten 120 Jahren als zur „Polonia“ gehörig zu reklamieren und damit ein Siedlungsgebiet festzulegen. Aber bei diesem Manöver haben die Objekte des Eingemeindungsversuchs ein Wörtchen mitzureden: Minderheiten werden nicht dekretiert.

Das europäische Minderheitenrecht ist in der Tat stark erweiterungsbedürftig, man denke nur an die Rechte für die Sinti und Roma. Aber von solchen Gedanken ist die Kaczyński-Regierung weit entfernt: Sie will nicht erweitern, sondern abschaffen. Schließlich ist das polnische Gesetz von 2005, das die deutschen Minderheitenrechte erweiterte, gegen den erbitterten Widerstand der nationalistischen Rechten angenommen worden. Jetzt soll die deutsche Minderheit zur fünften Kolonne eines deutschen Expansionismus hochstilisiert werden. Damit aber würde die historische Uhr auf die Zeit vor 1989 zurückgedreht. CHRISTIAN SEMLER