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vor ortBERND MÜLLENDER über die verzweifelte Trainersuche in Aachen

Sie hatten ihn immer hoch geschätzt wegen seiner leidenschaftlich unaufgeregten Art, seiner Höflichkeit, Spleenfreiheit und offensiven Spielphilosophie. Und Dieter Hecking hatte Alemannia Aachen nach gefühlten 336 Jahren, tatsächlich nach immerhin 36, als Trainer in die Bundesliga geführt. Das bedeutet Heldenstatus.

Dann kam auch noch der erste Bundesligasieg nach 13.263 vollen Tagen. Historisch, sagten alle stolz, auch Dieter Hecking. Doch innerhalb von 48 Stunden war er weg. Trotz seines Vertrages bis 2009, erst im April abgeschlossen. Ab zum Liga-Konkurrenten Hannover 96, zu genau jenem Team, das seine Elf so historisch 3:0 besiegt hatte, woraufhin dort Trainerkasper Peter Neururer gegangen wurde.

Die Plötzlichkeit ließ eine empörte Stadt zurück. Offizieller Hintergrund: In Bad Nenndorf bei Hannover wohnen Heckings Frau und die immerhin fünf Kinder. Über zwei Jahre störten die 350 liebestötenden Kilometer zum Arbeitsplatz nicht. Jetzt, heißt es, habe Gattin Kerstin rebelliert und auf heimatnahe Versetzung ihres angetrauten Montagearbeiters gedrungen. Der reklamierte „schwer wiegende persönliche Gründe“ und ließ sich aus seinem Vertrag herauskaufen für geschätzte knapp eine Million. Eine Ablehnung hätte „die Ziele ernsthaft gefährdet“, hieß es bei Alemannia nebulös.

Die Verhandlungen führte Alemannia-Sportdirektor Jörg Schmadtke. Der soll Hecking, so die Gerüchteküche, womöglich folgen, weil bei 96 der Kollege Ilja Kaenzig auf der Abschussliste steht. Schmadtke, der erfolgreiche Architekt des Aufstiegs, ist im Klub mit einigen über Kreuz. Ohnehin gärt es. Vorständler Marcel Creutz schmiss vor zwei Wochen begründungslos die Brocken hin.

Falls auch Schmadtke geht, hätte er praktischerweise schon mit sich selbst verhandelt. Für Alemannia wäre es der Supergau. „Ich schließe gar nichts aus, wir bewegen uns im Fußball“, sagt Schmadtke. Bösmeinende beziehen das auf ihn selbst. Seit gestern laufen nun auch Gespräche, ob auch Cotrainer Dirk Bremser zu 96 folgt. Familiäre Gründe: Sein Ziehvater Hecking. Alemannia möchte noch mal gut kassieren.

Die geschockten Fans nennen Hecking einen geldgierigen Heuchler, ersatzweise Münchhausen oder Vorzeige-Judas. Ein Fan forderte, als Nachfolger nur noch „einen Trainer ohne Familie“ zu nehmen. Ob die Alemannia dieses Persönlichkeitsmerkmal berücksichtigt, weiß man nicht. Als Favoriten gelten neben dem fanseitig gewünschten Erik Meijer (der vorläufig abgewunken hat) zum einen Jos Luhukay, ehemals SC Paderborn und zum zweiten Seitenlinienstar Co Adriaanse, der mit AZ Alkmaar und FC Porto große, auch internationale Erfolge feierte.

Zwei Eigenschaften eint die Konkurrenten: Beide schmissen von sich aus die Brocken beim letzten Arbeitgeber hin. Und alle sind Niederländer: Das hieße, kein Arbeitsplatz in Deutschland wäre so nah bei der Heimat wie Aachen. Und noch etwas: „Wenn Adriaanse kommt“, fanchattete gestern einer, „hätten wir ja gleich auch einen neuen Co.“

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