Der Sisyphos vom Eifelwall


VON HENK RAIJER

Stein des Anstoßes zu sein, ist für Rolf Tepel eine Auszeichnung. Er kennt das ihm angeheftete Label seit langem, trägt es wie ein Verdienstkreuz. Sein Stein jedoch, so der Kölner Künstler, sei eindeutig positiv besetzt. „Ich will ja nicht anecken, sondern anstoßen. Ich will etwas in Bewegung bringen, die Ideenarmut in dieser Stadt aufbrechen, indem ich Wege aufzeige“, sagt der 49-Jährige, während er seinen mit sieben grauen Pflastersteinen gefüllten Bollerwagen an der Rezeption des städtischen Fundbüros in Köln-Kalk abstellt.

Mit großer Geste hebt der Lebenskünstler, der sich „Ketan“ nennt, einen der massiven Brocken von der Ladefläche seines Holzgefährts und legt ihn der „verehrten Frau Amtsleiterin“ auf den Tisch. „Heute haben Sie Ihren ganz besonderen Tag“, verkündet Rolf Tepel und schenkt der verdutzten Frau mit seinem breiten Lächeln einen Blick auf die markante Leerstelle in seiner oberen Gebissreihe. „Dieser Stein gehört zu einer Straße, die ich an meinem Kölner Wohnort freigelegt habe und Ihnen jetzt als gefunden melden möchte“, erklärt Tepel, der an diesem Spätsommervormittag ein dunkles Sakko über seinem fusseligen blauen Pulli trägt. Frau Amtsleiterin möge ihm doch bitte den Empfang quittieren. „Sie können uns Ihren Stein gerne da lassen, aber einen Verwaltungsakt machen wir nicht daraus“, sagt diese. „Für Projekte dieser Art ist das Fundbüro nicht zuständig.“

Steinerne Symbolik

Am Ende bestätigt die „Frau Amtsleiterin“, wie Tepel sie beharrlich nennt, dem Künstler doch noch seinen „Fund“ in dessen Fahrtenbuch. Sie tue dies jedoch ausdrücklich „als Privatperson“. Ohne amtliches Siegel, aber dennoch zufrieden, dass der Stein ins Rollen gebracht wurde, macht sich Tepel auf zur zweiten Station seines steinigen Weges durch die Kölner Bürokratie: zum städtischen Katasteramt, wo er sein Stück Straße als „Wandelwagenweg“ eintragen lassen will. Alles zu Fuß und in seinem Gefolge die zentnerschwere Last.

Auf Tepels Liste stehen für diesen Tag noch sechs weitere Adressaten, darunter das Amt für Denkmalpflege, das Kulturdezernat der Stadt sowie Kölns OB Fritz Schramma. Aber das frühe Aufstehen, die Beschriftung jedes einzelnen Steins im Morgengrauen und der einstündige Fußmarsch über den Rhein haben dem Künstler nach der ersten Station seiner Mission ein wenig zugesetzt. Es reicht fürs erste, sagt sich Tepel alias Ketan und begibt sich mit seiner steinernen Symbolik auf den Heimweg.

Rolf Tepels Heimstatt sind zwei Zirkuswagen auf einer städtischen Brache am Kölner Eifelwall. Zu Füßen des Kölner Landgerichts und inmitten von verlassenen Lagerschuppen, Bauwagen, Brennnesseln und Gestrüpp hat er vor zehn Monaten angefangen, eine „temporäre paradiesische Zone“ einzurichten. Gedacht ist sie als Refugium für Anhänger des gesellschaftlichen Gegenentwurfs, als kreative Alternative zu den „Konzentrationslagern da draußen“, in die sich die Menschen steckten, seien es Schule, Job oder Altenheim.

Auf dem von Freunden und Sympathisanten aus aller Welt frequentierten Gelände sein Existenzrecht zu behaupten, fällt dem „kreativen Landschaftsbewohner“ nicht immer leicht. „Missbrauch städtischen Eigentums“ habe ihm jüngst ein Beamter aus der Kölner Bauverwaltung vorgeworfen und dem nicht sesshaften Künstler und Gelegenheitsjobber mit den entsprechenden Paragraphen gedroht. „Dabei habe ich hier für die Stadt den Dreck weg gemacht, habe sechs Monate lang Schutt weggeräumt und versickertes Altöl entsorgt“, sagt Tepel, der sich nicht als Besetzer, sondern als Befreier des seit 20 Jahren ungenutzten Areals versteht.

Seit nunmehr 26 Jahren lebt Rolf Tepel so. 1980 hat sich der Autodidakt, der in Sürth bei Köln geboren wurde und ein Jahr vor dem Abitur die Schule schmiss, vom ewigen Kreislauf aus Arbeit, Essen, Schlafen und ein paar Stunden Freizeit verabschiedet. Er lebt ohne Verpflichtungen, ohne Termindruck und ohne Uhr. Mal von seiner Glaskunst, mal als Bäcker, Dachdecker oder Erntehelfer. Aber stets umgeben von Steinen.

„Supergute Ökobilanz“

1993, als Rolf Tepel bereits lange Jahre ohne Kontonummer und ohne Versicherung im Zirkuswagen gelebt hatte und mit Straßentheatern auf Achse gewesen war, rollte er einen aus einem Grabstein gehauenen Porphyr quer durch die Republik: zu Fuß vom Hunsrück bis an die Oder. Sein Traum damals: auf dem Weg durch Deutschland so viele Gleichgesinnte gegen das eingezäunte Leben und für den stetigen Wandel zu rekrutieren, dass erst gar keine weiteren Steine ins Rollen gebracht werden müssten. „Das einzig Dauerhafte ist doch der Wandel, und der ständige Wandel ist bis heute mein Lebenszirkus, mein Gesamtkunstwerk, meine Karawane, an der ich arbeite“, schwärmt Rolf Tepel, für den nach eigenen Angaben „ein Leben mit Frauen nicht einfach“ ist, der aber immerhin mit nicht nur einer vier Kinder im Alter von 25, 24, zehn und drei Jahren in die Welt gesetzt hat.

Im Innern seiner Wagenburg sammelt der Künstler Lebenskräfte für die Kommunikation mit der Stadt, von hier aus „erkläre ich der Welt den Fried...“, wie ein Sinnspruch an Tepels rotem „Wirkstattwagen“ verheißt. Hier formt er Bleigläser oder heckt Ideen für seine Steinprojekte aus. „Stein ist der Knochen der Erde, die Grundlage unseres Seins“, doziert der hagere Mann mit dem rot funkelnden Ring am linken kleinen Finger, während er auf den rund 25 Meter langen „Wandelwagenweg“ deutet, der sich von Ost nach West über sein Anwesen zieht. „Durch Steine teile ich mich anderen Menschen mit“, sagt Tepel, der vor Jahren 160 Tonnen handgehauener Steine aus einer stillgelegten Eisenbahnbrücke vor dem Shredder gerettet hat.

Mit diesem von ihm als „Kapital des Volkes“ bezeichneten Material hat er inzwischen eine Feuerstelle im Kölner Friedenspark, einen Arbeitstisch im Hof der Alten Feuerwache und eine kleine Arena für Zirkusdarbietungen am Riehler Freibad errichtet. Am Sonntag wurde sein Brunnen im Kölner Fritz-Engke-Park eingeweiht, mit dabei OB Fritz Schramma, der hier auch „seinen“ Stein ausgehändigt bekam.

Inspirator Joseph Beuys

Das Nomadenleben hat den Künstler geprägt. „Viele halten mich für einen Spinner“, sagt Tepel, der Joseph Beuys und Michael Ende als „die wichtigsten Inspiratoren für meine Verrücktheiten“ bezeichnet. „Nur wer sesshaft ist, gehört dazu“, weiß der Mann, der seit seinem Marsch mit dem Stein 1993 bis zu seiner Rückkehr nach Köln Ende vergangenen Jahres auf Wanderschaft war. Als „Landschaftsbewohner“ müsse er sich fast täglich für seinen Lebensstil rechtfertigen. „Dabei hab ich zum Beispiel eine supergute Ökobilanz.“

Ketan, dessen Name aus dem Sanskrit stammt und Heimat bedeutet, möchte sich auch in Zukunft durch seine Steine ins Gespräch bringen und mit seinen Kunstprojekten bald mal Geld verdienen. In Köln und auf Wanderschaft. Bei seinen Bemühungen könnten ihn Leute wie André Heller, ein Mitstreiter aus alten Roncalli-Tagen, unterstützen. Wenn er genügend Gleichgesinnte für seine Karawane beisammen habe, könne es los gehen. Und sein Paradies am Kölner Wandelwagenweg? Tepel: „Ich gehe davon aus, dass der Platz zum Weltkulturerbe wird, wenn ich weg bin.“