LESERINNENBRIEFE
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Milieuübergreifender Protest?

■ betr.: „Die neuen Revolutionäre“, taz vom 24. 9. 10

Richtig stellt der Artikel dar, wie diejenigen, die „in der Gesellschaft angekommen“ sind, ihren Interessen Gehör verschaffen. Ein „schichten- und milieuübergreifender Protest“? Da habe ich meine Zweifel. Der Zeitungsleser, der (mutmaßlich) einer ähnlichen Gesellschaftsschicht angehört, fühlt sich gut ein in die Aktionsbünde, sympathisiert sogar mit dem einen oder anderen Anliegen. Interessant ist aber die Frage, die kaum gestellt wird: Wie lassen sich auch die Interessen der Abgehängten, Deprimierten, Fernsehpassiven bündeln und in den Prozess der politischen Aushandlung einbringen? Damit Sachabstimmungen, die tatsächlich alle Bürger angehen, nicht wie in Hamburg im Ergebnis einem Sozialatlas gleichen. Die Verachtung und Verdrossenheit der professionellen Politik gegenüber ist ja in allen Schichten weit verbreitet, die selbstbewussten, ihrer materiellen und geistigen Welt selbst mächtigen Mittel- und Oberschichten können diese jedoch in eigene Aktionsenergie umwandeln oder wenigstens der Partei, die ihre Interessen zuverlässig bedient, die Stimme geben. Höre ich Sigmar Gabriel, der sich wieder um die Stammklientel der SPD kümmern möchte, fokussiert sich dieser im nächsten Satz wieder auf die „Mitte“, die leistungsbereit und sozial bedeutend sei. Dort wird er die Stimmenzahl nicht finden, die ihm seit langem „unten“ wegbricht. MAIK HARMS, Hamburg

Statistische Taschenspielertricks

■ betr.: „Prost Armut!“ u. a., taz vom 25. 9. 10

„Arbeit ist Pflicht. (…) Zwar droht dem Langzeitarbeitslosen keine Gefängnisstrafe, aber Sanktionen wie sinnlose Ein-Euro-Jobs, sinnlose Schulungen oder Einkommenskürzungen werden von den so Bestraften nicht als grundsätzlich anders erlebt. Sie dürfen sich nicht frei bewegen, müssen jede Art schlecht bezahlter Zwangsarbeit leisten und Details aus ihrem Privatleben offenlegen. Das ist beschämend und würdelos in einem der reichsten Länder der Welt. Erwerbslose werden faktisch ihrer Grundrechte beraubt, die der Staat laut Grundgesetz eigentlich nur im Fall einer Straftat einschränken darf. Wie gesagt: Hartz IV ist offener Strafvollzug!“ (Zitat aus dem Buch: Götz W. Werner/Adrienne Goehler, 1.000 Euro für jeden: Freiheit, Gleichheit, Grundeinkommen, Econ Vlg., Berlin 2010, S. 97).

Das Prekariat wird in Deutschland seiner elementarsten Rechte beraubt. Obwohl jede ARGE die telefonische Erreichbarkeit eines Arbeitslosen verlangt und auch der PC, samt Internetanschluss, wohl das einzig probate Mittel zur Arbeitssuche „bundesweit“ sind, finden sich die Kosten dafür im Regelsatz des Hartz-IV-Satzes nicht wieder. Auch wird eine Summe von 16,42 Euro im Monat (gegenwärtiger Anteil für Mobilität im Regelsatz) wohl kaum für die zahlreichen Ämter- und Job-Börsen-Besuche ausreichen, zu denen jeder arbeitslose Leistungsempfänger genötigt ist. Auch eine „Sarrazin“-Diat, die übrigens weder zum Leben noch zum Sterben reicht, wird dem Hilfeempfänger kaum den notwendigen finanziellen Spielraum verschaffen, um Mittel zur kulturellen Teilhabe zu erübrigen. Dass jetzt mit Hilfe von statistischen Taschenspielertricks Kosten für Alkohol und Tabak erst herausgerechnet werden, um dann eine „scheinbar“ angemessene Erhöhung der Hartz-IV-Sätze vorzunehmen, offenbart nur einmal mehr, wie skrupellos die CDU/CSU/FDP-Koalition mit dem Prekariat verfährt. MICHAEL HEINEN-ANDERS, Köln

Es ist erbärmlich

■ betr.. „Große Kritik an Mini-Erhöhung“, taz vom 28. 9. 10

Gerade haben sich die Landtagsabgeordneten in Hannover ihre eigenen Bezüge um 405 Euro auf 6.000 Euro monatlich erhöht, da wurde in Berlin beschlossen, die Hartz-IV-Regelsätze um fünf Euro monatlich zu erhöhen. Es ist erbärmlich, wie die Politik mit Menschen umgeht, die durch eine verfehlte Politik ihren gut bezahlten Arbeitsplatz verloren haben und dadurch zu Hartz-IV-Empfängern wurden. Aber für die Banken und ihre Manager, da stehen Milliarden bereit. HEINZ KORNEMANN, Wolfsburg