GONZALES’ KINOFILM
: Im dunklen Schlafrock

Wie ein lungenkranker Pianist im Kursaal

Fast wäre ich zu Hause geblieben, aber die Vorplanung gestaltete sich schon so schwierig, da wäre es verschwendete Energie gewesen, nicht hinzugehen. Die erste Show zum Gonzales-Film „Ivory Tower“ war schon seit Wochen ausverkauft und also stand die Zusatzshow um zwölf im Programm. Ich hatte Menschenaufläufe erwartet, aber es lag eine unaufgeregte Stimmung über dem Kinosaal des Babylons. Weil sich der Show-Beginn verzögerte, musste ich minutenlang belanglose Telefongespräche mitanhören. Endlich kam Gonzales auf die Bühne, wirkte müde und abgekämpft im dunklen Schlafrock, setzte sich an den Flügel und begann seine Klavierstückchen, Kapriolen und Fingerübungen. Romantische Motive wallten auf. Durch harsche Wechsel leitete er zu melodramatischen Höhepunkten über, um danach bedeutungsvoll an die Decke zu starren. Gonzales klimperte und hackte hin und wieder manisch und beifallheischend an zwei Noten herum, vollführte allerlei Sperenzchen, ganze Oktaven mit dem Ellenbogen abdeckend. Die Rolle des schmierig-sympathischen Entertainer-Maestros scheint ihm zur zweiten Natur geworden zu sein.

Manchmal glaubte man bekannte Broadwaymelodien oder das Thema von „Take Five“ herauszuhören, und auf Dauer war’s nett, aber nicht so spektakulär, ich dämmerte ein bisschen ab. Leute, die seitlich durch den Saal gingen, bewegten sich zu dem Geklimper plötzlich wie Stummfilmstars, während der eigentliche Hauptdarsteller wie ein leicht verkommener lungenkranker russischer Pianist im Kursaal wirkte. Man hätte sich auch mal einen Song von seiner neuen Platte gewünscht, aber eigentlich war schnell klar, dass er nicht singen würde, weil „nur Klavierspielen“ cooler war. Nach vier oder fünf Stücken nahm er das Mikrofon und sagte: „I don’t know about you, but I came here to see a movie“. Dann begann der Film. CHRISTIANE RÖSINGER