Trotz Amnestie geht Gewalt in Algerien weiter

Für Innenminister Zerhouni steht das Ende der bewaffneten islamistischen Gruppen kurz bevor. Doch die Anschläge nehmen zu, und in der Kabylei gibt es wieder falsche Straßensperren. Dutzende von Soldaten sterben in Hinterhalten

MADRID taz ■ Hinterhalte, Bomben, falsche Straßensperren, Schießereien: die algerische Bevölkerung hat einmal mehr vergebens auf das Ende der Gewalt gewartet. Zwei Wochen nach dem Ablauf der Frist für eine Amnestie häufen sich die Attentate. Die Armee reagiert mit einer groß angelegten Operation im Osten des Landes sowie in der Berberregion Kabylei.

Zwischen 250 und 300 islamistische Terroristen hätten sich dank dem Versprechen einer großzügigen Behandlung ergeben, verkündete Innenminister Yazid Zerhouni Anfang des Monats. Unter ihnen soll sich der Gründer der letzten noch aktiven bewaffneten Organisation, der Salafistischen Gruppe für Predigt und Kampf (GSPC), Hassan Hattab, befinden. Damit sei die auf Initiative von Staatschef Abdelasis Bouteflika per Referendum verabschiedete Amnestie ein Erfolg. Außerdem habe die Armee in den letzten sechs Monaten rund 500 Terroristen getötet. Nun seien nur noch rund 100 GSPC-Kämpfer aktiv, dreißig bis vierzig im Osten des Landes und sechzig in der 100 Kilometer östlich der Hauptstadt Algier gelegenen Kabylei. Beide Gruppen seien seit zwei Wochen umzingelt. Ihre endgültige Niederlage stehe kurz bevor.

Die algerische Öffentlichkeit nimmt die Bilanz Zerhounis mit Staunen zur Kenntnis. Denn die erneute Gewaltwelle scheint nicht das Werk einer kleinen, von der Armee eingekreisten Gruppe zu sein. Während nach Presseberichten die Armee bereits Dutzende von Soldaten in Hinterhalten und in Minenfeldern verloren hat, weiten die Salafisten ihren Aktionsradius ständig aus.

Der erste spektakuläre Anschlag zum Ende der Amnestiekampagne fand in der letzten Augustwoche statt. Auf einer Landstraße in der 100 Kilometer östlich von Algier gelegenen Kabylei zündeten die Islamisten mehrere Bomben, als ein Militärkonvoi vorbeifuhr. Als die Soldaten aus den Fahrzeugen flüchteten, eröffneten Schützen das Feuer. Ein Soldat wurde getötet, 19 weitere wurden zum Teil schwer verletzt. Seither kam es zu ähnlichen Anschlägen und bewaffneten Überfällen.

In der Kabylei errichten die GSPC mittlerweile auch wieder die gefürchteten Straßensperren. Bisher dienten diese nur dazu, Präsenz zu beweisen. Doch die Angst unter der Bevölkerung steigt, denn früher wurden immer wieder Reisende erschossen oder enthauptet.

Die Behörden scheinen die Frist für die Amnestie verlängert zu haben, ohne dies groß anzukündigen. So berichtet die algerische Presse von Freilassungen mutmaßlicher Terroristen auch nach dem 31. August. Das Verfahren gegen hunderte von Gefangenen wurde in den sechs Monaten der Amnestie eingestellt, für andere wurde die Strafe ausgesetzt. Doch nicht alle der Betroffenen scheinen daraus die erhoffte Schlussfolgerung gezogen zu haben. So berichtet eine der großen frankophonen Tageszeitungen des Landes, Al-Vatan, dass mindestens 30 Entlassene in die Berge zur GSPC zurückgekehrt seien. REINER WANDLER