Offenbarung und Schweigepflicht

GEHEIMNISTRÄGER Ein Pfarrer und ein Psychotherapeut – zwischen Gottvertrauen und menschlicher Grenzerfahrung. Zwei Protokolle

Gott ist allmächtig und allwissend. Vor ihm gibt es keine Geheimnisse. Davon bin ich überzeugt und nach meinem Verständnis ist das die Definition göttlicher Attribute.

Jemand sagte einmal zu mir, kein Gott könne ihm vergeben. Ich sagte ihm, dass mein Gott ein vergebender Gott sei. Wenn er sich aber nicht dem Glauben und der Überzeugung annähern könnte, könne ihm auch Gott nicht helfen. Das ist dann schon die Hölle. Die Beichte ist ein wichtiges Werkzeug für die Menschen, auch wenn sie heute weniger kommen. Geheimnisse, die sie bedrücken, können ihnen hier vergeben werden. Jeder, der sich mir als Pfarrer und damit auch Gott anvertraut, weiß: Sein Geheimnis bleibt ein Geheimnis. Auch gegenüber dem Staat und strafrechtlichen Verfolgern.

Das Geheimnis spielt im Glauben eine zentrale Rolle. Beim Abendmahl zum Beispiel sehe ich ja nur Brot, Wein und Wasser. Aber wenn ich in der heiligen Messe die Worte Jesu über Brot und Wein spreche, glaube ich, dass er sein Leben für alle Menschen hingegeben hat. Warum? Was ist das Geheimnis des Glaubens? Es ist der Glaube selbst.

Ein Mensch, der keine Geheimnisse hat, ist ein leerer Mensch. Sie gehören zum Leben. Das Geheimnis des Glaubens wird sich durch mich als Pfarrer nie lüften lassen. Ich kann nur das Geheimnis meines eigenen Lebens lüften, indem ich mich hingebe.“ JANTO RÖSSNER

■ Der 60-jährige Pfarrer Stefan Friedrichowicz arbeitet seit 4 Jahren als Gefängnispfarrer in der JVA Tegel. Seit 30 Jahren predigt er vom Geheimnis des Glaubens

Wenn ich abends in mein Privatleben eintrete, gelingt es mir normalerweise, die Arbeit vor der Haustür zu lassen. Einmal gelang mir das nicht, da war ich in einer diffizilen Kluft zwischen Schweige- und Offenbarungspflicht.

Eine Patientin vertraute mir an, dass sie während ihres stationären Aufenthalts ein intimes Verhältnis zu einer Sozialpädagogin hatte. Ich musste ihr Geheimnis bewahren, hatte aber gleichzeitig ein Verantwortungsbewusstsein gegenüber der Klinik, in der ich damals arbeitete. Meine Klientin und ich fürchteten, dass diese Beziehung von Nachteil für die weitere Behandlung sein könnte. Ich nahm Kontakt zu der Sozialpädagogin auf und empfahl ihr, das Arbeitsverhältnis an der Klinik zu beenden. Natürlich ist dies ein Ausnahmefall, dennoch muss ich mich jeden Tag auf neue Geheimnisse einlassen und abwägen.

Durch eine vertrauensvolle therapeutische Beziehung versuche ich, aus dem betreffenden Geheimnis eine offen besprechbare Angelegenheit zu entwickeln. Dabei erwarte ich keinen seelischen Striptease! Ich signalisiere, dass sie mir nicht alles gestehen müssen. Diese Taktik entkrampft die Situation und ermöglicht paradoxerweise vielen Menschen, bisher streng geheim gehaltene Dinge zu kommunizieren. In den vergangenen Jahren zum Beispiel kam dabei mehr und mehr das Thema sexueller Missbrauch zur Sprache.“

TILL HUST

■ Seit 1990 behandelt der 59-jährige Psychiater und Psychotherapeut Stephan Schwarzmaier Menschen mit seelischen Leiden