: Nina Hagen besucht die Elbmarsch
Die ehemalige Punk-Ikone tritt bei einem Aktionstag der Initiative „Bürger gegen Leukämie in der Elbmarsch“ auf. Dort waren vor 20 Jahren nach einem Unfall im AKW Kümmel Kinder erkrankt, vier davon starben
Direkt hinter dem Deich im kleinen Ort Marschacht in der Elbmarsch stolziert sie mit halsbrecherisch hohen Absätzen. Nina Hagen trägt eine enge Leggins in grün-braunem Tarnfleckenmuster, darüber ein schwarzes Minikleid mit giftgrünen Netzärmeln. Die Sängerin ist gekommen, um den Aktionstag der Bürgerinitiative „Bürger gegen Leukämie in der Elbmarsch“ zu unterstützen.
Die hat hinter dem Deich eine Bühne aufgebaut, mit Blick auf das Atomkraftwerk Krümmel am anderen Elbufer. An den Aktionsständen vor der Bühne können sich Besucher über die Gefahren von Atomanlagen informieren. Denn vor genau 20 Jahren soll sich im Krümmel ein Unfall zugetragen haben. Seit 1991 versucht die Bürgerinitative diesen Unfall und seine Folgen zu beweisen. Damals erkrankten nahezu gleichzeitig vier Kinder an Leukämie. Insgesamt 16 Leukämiefälle bei Kindern gab es seitdem in der Elbmarsch. Vier verliefen tödlich.
„Wenn meine Freunde rufen, dann komme ich.“ Frau Hagen zieht die Traube ihrer Fans hinter sich her, in Stöckelschuhtempo den Deich hinunter zur Bühne. Ein paar Kameramänner haben Mühe, Blickkontakt zu halten. Am Mikrofon angekommen liest Nina Hagen einen Brief von Pastor Karl ter Horst vor, der amerikanischen Armee-Deserteuren hilft. Nina erzählt von verunstalteten Babys im Irak, deren DNA durch US-Waffen mit abgereichertem Uranium zerstört worden sei. „Man muss immer die unsichtbare Glocke läuten gegen Atomwaffen, Uranium, den Irakkrieg,“ sagt sie und zeigt auf das Atomkraftwerk hinter der Elbe.
Später kommen einige Wissenschaftler zu Wort, die an den Untersuchungen zur Ursache der Leukämiefälle in der Elbmarsch beteiligt waren. Sie hatten damals Reste von Kernbrennstoff im Boden nahe dem AKW Krümmel gefunden. Den Landesregierungen von Schleswig-Holstein und Niedersachsen werfen sie vor, diese Ergebnisse zu ignorieren. „Wir wissen, dass die Feuerwehr einen Unfall vertuscht hat“, ruft die Physikerin Inge Schmitz-Feuerhake.
„Das einzige, was nach allen Untersuchungen noch als Krankheitsursache übrig blieb, war radioaktive Strahlung“, sagt Hajo Dieckmann, Gesundheitsexperte und ehemaliges Mitglied der Leukämiekommission. Er muss laut sprechen, um die Zuhörer zu erreichen. Denn zu seinen Füßen sitzt Frau Hagen und schreibt Autogramme, umgeben von einer Traube aus plappernden Jugendlichen. Silke Bigalke
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