Wilder Wein sorgt wieder für Wirbel

STADTNATUR In Kreuzberg plant eine Hausverwaltung den zweiten Anlauf zur Beseitigung eines riesigen Weins – mit Unterstützung der Senatorin für Stadtentwicklung. Der Bezirk will den Kahlschlag verhindern

Eine Telefonkonferenz mit allen Beteiligten soll das Problem lösen

Ein wilder Wein in einem Kreuzberger Hinterhof beschäftigt nun schon zum zweiten Mal in diesem Jahr die Berliner Politik. Inzwischen wurde der Fall des von Abholzung bedrohten Weins an der Rückwand der Boppstraße 10 zum Haus Nummer 11 sogar Ingeborg Junge-Reyer (SPD), Senatorin für Stadtentwicklung, persönlich vorgetragen. Denn die ihr unterstehende Obere Naturschutzbehörde weigert sich, ein vom Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg ausgesprochenes ganzjähriges Abholzungs-Verbot zu unterstützen. Am Mittwochabend verabschiedete die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) mit breiter Mehrheit von Grünen und Linken einen Dringlichkeitsantrag, dass Bürgermeister Franz Schulz (Grüne) und seine Mitarbeiter „alle Möglichkeiten ausschöpfen“ sollen, um die für den 4. Oktober angesetzte Fällung zu verhindern.

Bereits im März dieses Jahres hatte die ex-ante-GmbH, die Hausverwaltung der Boppstraße 11, auf Druck der Westfalia Immobilien, der Hausverwaltung der Boppstraße 10, einen Versuch unternommen, den etwa ein Fußballfeld großen Wein zu beseitigen und klein zu häckseln. Erst in letzter Minute konnte aufgrund des Drucks der Anwohner und der Kreuzberger Grünen das Vorhaben durch ein behördliches Verbot gestoppt werden. Im Rahmen der Auseinandersetzung stellte sich heraus, dass weder den Mitarbeitern der Unteren noch der Oberen Naturschutzbehörde das seit dem 1. März 2010 geltende neue Bundesnaturschutzgesetz bekannt war und sie erst von der Bewohner-Initiative darauf hingewiesen werden mussten.

Nach diesem Gesetz sind nicht nur Baumfällungen, sondern auch das Abschneiden von „Gebüsch und anderen Gehölzen“ zwischen dem 1. März und dem 30. September generell verboten. Da sich hinter dem Wein in den Mauerritzen in der betroffenen Brandwand auch Ruhe- und Niststätten von Vögeln und Fledermäusen befinden, gilt dieses Verbot ganzjährig. Doch darüber wollte sich die Hausverwaltung der Boppstraße 11 hinwegsetzen und beantragte bei Rita-Marina Karge von der Oberen Naturschutzbehörde eine Aufhebung des Verbots. Mit Erfolg. Dafür wischt Karge auch das Gutachten des Biologen Carsten Kallasch, auf dem das Fällverbot vom Frühjahr beruht, ohne Prüfung vom Tisch. Sie sieht laut Matthias Gille, Sprecher der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, „keine rechtliche Möglichkeit, die beantragte Abholzung zu verhindern“. Ohne auf das eindeutig anders lautende neue Bundesnaturschutzgesetz einzugehen, sieht Gille „in Berlin keinen Mangel an Grün“. Hier gebe es mehr als in jeder anderen europäischen Stadt. Er fügt hinzu: „Die Berliner kämpfen doch um jeden Baum.“

Genau dies macht die rührige Anwohner-Initiative seit Wochen. So hat sie inzwischen der Hausverwaltung der Boppstraße 10 angeboten, auf eigene Kosten das Freischneiden der Fenster im fünften Stock des im übrigen weitgehend leerstehenden Gebäudes zu übernehmen. Daniel Wesener, Sprecher der grünen BVV-Fraktion, fragt sich, „warum wir große und teure Programme zur Hinterhofbegrünung auflegen“. Mit dem Dringlichkeitsbeschluss der BVV im Rücken laufen nun die Telefone zwischen den Behörden heiß. Und Jutta Kalepky (parteilos), Kreuzberger Baustadträtin für die Grünen, hofft spätestens am heutigen Freitag eine Telefonkonferenz aller beteiligten Akteure zu organisieren, um den Wein dauerhaft zu retten. CHRISTOPH VILLINGER