Vorsicht mit dem angereicherten Uran

Physik, Propaganda und Kleinfamilien: Dietmar Dath las im Festsaal Kreuzberg aus seinem neuen Roman „Dirac“

Es war ein referenzenreicher Abend, bei heruntergedimmter Beleuchtung im Festsaal Kreuzberg: Dietmar Dath, FAZ-Redakteur, Ex-Spexler, Autor und Übersetzer, wurde von zweien seiner Verleger vorgestellt: Jörg Sundermeier vom Verbrecher-Verlag und Christina Striewski von Suhrkamp, wo die beiden letzten Bücher Daths erschienen sind. Beide freuten sich über die Kooperation bei der Vorstellung seines neuen Romans und dankten sich dafür.

Striewski, die „Dirac“ bei Suhrkamp lektoriert hat, gab einige Kostproben von Dath-Marginalia aus den Fahnen: „AAAAAAHHH HHHHHH! VORSICHT MIT DEM ANGEREICHERTEN URAN!!!! WAHNSINNIGE!!! Alles bleibt, die ganze Energieerhaltungsscheiße, die Unschärfe!“, war eine Reaktion des Physikers Dath, der über den Physiker Paul Dirac schreibt, auf Kürzungsvorschläge der Lektorin und Physik-Laiin. Oder: „Deiktischer Obskurantismus: I love it. Diese ganze Mystik bleibt, sonst werfe ich mit David-Lynch-DVDs.“

Schließlich kam der Autor selbst aufs Podium. Nach allumfassendem Dank und der Feststellung, man befände sich ja unter „linken Schnuffels wie du und ich“, stellte Dath klar, dass „das Buch leider auch noch politisch ist“. Und schaltete vor die Lesung eine Aufzählung von Ungerechtigkeiten in der globalisierten Welt, von ausgebeuteten Kassiererinnen am Alexanderplatz bis zu enteigneten chinesischen Bauern.

Das Podium hatte mit seiner schwarz verknitterten Verhängung etwas von einer Trauer- oder Wahlkampfveranstaltung, Dath erschien mit Vollbart, Brille und gestreiftem Hemd. Irgendwie passte der Physiklehrer-Look: Zum Thema des Buches sowieso und auch zu Daths didaktischer Verve, die sich in der Anfangs-Agitation und in den gelesenen Passagen überzeugend und oft unterhaltsam zeigte. Wie schön, in Hartz-IV-Zeiten bei einer öffentlichen Lesung zu hören, dass alles, was Menschen tun, auch von Menschen verändert werden kann.

Der Roman „Dirac“ ist eine Art Mikrokosmos aus Gott, Physik, Geschichte, Beziehungen und neurotischen Kleinfamilien, ein loses Referenzen-Netz, das den Lebensweg einiger Freunde Mitte 30 verfolgt. Einer von ihnen schreibt über Paul Dirac (1902–1984), Physiker und Mitbegründer der Quantentheorie, und Dath baut ins Leben der Freunde immer wieder Querverbindungen zwischen Wissenschaft und Liebe, Geschichte und dem Jetzt ein. Die Rückblenden zu fürchterlichen Verwandten – Dath war wunderbar als schwäbelnde, boshafte Tante – oder Klassenfahrtskonflikten waren ein Heimspiel vor den meist 30- bis 40-Jährigen im Publikum, ganz ohne falsche „Generation Golf“-Nostalgie. Eine andere Szene beschäftigte sich mit Dante und Beatrice, Vorbild aller (literarischen) Idealisierung von Frauen und nebenbei auch ein Bezug auf David und Sonja, die schon im Vorgänger-Buch „Die salzweißen Augen“ auftauchen.

Das entspannte Inhalts-Hopping funktionierte besonders gut im Zusammenspiel mit Jens Friebe, der zwischen den Lesungsabschnitten zur Gitarre sang. Er habe sich vorher nicht mit Dietmar Dath absprechen können, was die Musikauswahl betrifft; das sei aber auch egal, denn bei Dath ginge es wie bei aller großen Literatur um so ziemlich alles. Und spielte nach Dante und Beatrice ein Lied über Internet-Pornografie.

ULRIKE MEITZNER