spinnensafari in neustrelitz von HUBERT KRAUTWURST
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Am Ortsrand von Neustrelitz hat mein Onkel Egbert sich auf seine alten Tage in einem Erbhäuschen verschanzt, an dessen Stubenwänden das Gehörn von schätzungsweise zweihundert erlegten Wildtieren verwest. Bis zum Tod von Tante Margot war er ein weithin gefürchteter Nimrod gewesen, aber mit seiner Ehe- und Putzfrau hatte ihn auch sein Jagdinstinkt verlassen. Und so teilte Onkel Egbert, vom Waidmann zum Witwer degradiert, seinen Wohnraum seither mit einer stetig wachsenden Zahl von Spinnen, in beiderseitigem Einvernehmen.

Der Waffenstillstand endete eine Woche vor Onkel Egberts 75. Geburtstag. Eine ältliche, im Neustrelitzer Ortskern ansässige Kusine hatte ihren Besuch angekündigt, und mein Onkel bat mich – seinen einzigen anderen noch lebenden Verwandten –, ein bisschen sauber zu machen. Es ist ja doch oft so, dass Frauen ihr Quartier nur ungern mit Spinnen teilen, und zwar um so ungerner, je dichter sich die Spinnen, aus der Laienperspektive, vor dem evolutionären Entwicklungssprung in die Reptiliengestalt zu befinden scheinen. Alter Erfahrungswert: Je dicker die Spinnen, desto nervöser die Frauen. Arachnophobie, dich vergess ich nie!

Bei der systematischen Säuberung des Häuschens von Spinnen, Spinnennetzen und Netzruinen erbeutete ich alles in allem 328 Vertreter dieser drolligen Art chitinhaltiger Insektenvertilger. Es waren Prachtexemplare darunter, von Mutter Natur in sattes Schwarz gekleidet, mit voluminösem Schmerbauch oder Abdomen und einem in jeder gewünschten Graustufe schimmernden Gliederstachelpelz. Manche Spinnen könnten, wenn es Spinnenklaviere gäbe, sicherlich umstandslos Rachmaninows Klavierkonzert Nr. 2 in c-Moll zu Gehör bringen.

Schön ist allerdings was anderes. Gern streicheln wir Menschen einem schnurrenden Kätzlein übers Fell und mustern als Fernsehzuschauer nicht ohne Rührung Rehkitze, Antilöpchen und Meerschweinchen, aber auch Raubtiere wie das Füchslein, das Erdmännchen und das Eichhörnchen. Wohlgefällig betrachten wir den Flug des Steinadlers, den Sprung des geschmeidigen Panthers und die Dokumente der Kinderliebe des gewaltigen Braunbären. Nur für das spinnenfingerige Äußere der Spinnen kann sich kaum ein Mensch erwärmen. Und doch lässt der Geschlechtstrieb auch Spinnenweibchen und Spinnenmännchen einander vorübergehend verlockend erscheinen; sonst gäbe es ja nicht so viele davon. Verständlich ist indessen auch die Unlust, die Spinnenweibchen nach vollzogenem Begattungsakt dazu animiert, ihren Sexualpartner totzubeißen.

Als guter Buddhist habe ich die Spinnen selbstverständlich nicht getötet, sondern einzeln eingefangen, in Onkel Egberts Gästezahnputzglas, und sie dann, eine wie die andere, vor die Tür gesetzt.

Ende der Safari. Erzählt habe ich das alles nur, weil ich es bemerkenswert finde, dass dem Ortsnamen Neustrelitz seinerseits etwas Spinnenhaftes zueigen ist, wenn nicht sogar etwas Spinnertes: Wenn eine Spinne einen Faden spinnt, könnte man, wie ich finde, auch sagen, dass sie den Faden „neustrelitzt“.

Könnte man nicht? Ätschibätschi. Könnte man wohle.