Gericht will Heiligtum teilen

INDIEN Richter ordnen Teilung des zwischen Hindus und Muslimen umstrittenen Moscheegeländes in Ayodhya an. Der Konflikt forderte mehrere Tausend Tote

Die Angst der Behörden zeugt von ihrer Unsicherheit im Konflikt der Religionen

AUS DELHI GEORG BLUME

60 Jahre hat der Prozess um eine 350 Jahre alte, von Hindus zerstörte Moschee in Nordindien gedauert. Am Donnerstag fiel das Urteil über den Standort, an dem laut hindustischer Legende der Gott Rama geboren sein soll. Die Frage war: Wem gehört die Moschee? Den Muslimen, die dort 350 Jahre lang zu Allah beteten, oder den Hindus, die dort in den Jahrhunderten zuvor einen Rama-Tempel errichtet hatten?

Lange spaltete diese Frage ganz Indien in die Mehrheit der Hindus und die Minderheit der Muslime. Jetzt sollte das Oberste Gericht des Bundesstaats Uttar Pradesh den historischen Streit ein für alle Mal beenden. Den Richtern zufolge sollen die wenigen hundert Quadratmeter des Moscheegeländes in drei Teile geteilt werden: einen für die Hindus, einen für die Muslime und den dritten für eine radikale hinduistische Gruppe, die vor 60 Jahren als erste Klägerin in dem Fall aufgetreten war.

Vor dem Urteil herrsche in Uttar Pradesh Ausnahmezustand. 200.000 Polizisten patrouillierten alle großen öffentliche Plätze. Das Gerichtsgebäude in der Stadt Allahabad wurde von tausenden Journalisten belagert. In der Hauptstadt Delhi rief die Regierung zu Ruhe und Ordnung auf. Schuldirektoren wiesen die Eltern an, ihre Kinder nach dem Unterricht sofort in Sicherheit zu bringen. Das zeugte für die immer noch gärende Unsicherheit der Behörden im Konflikt der Religionen. Der Streit um die Babri-Moschee in dem Städtchen Ayodhya hatte Indien in den letzten zwanzig Jahren viele Tote beschert. Schon 1992, als Hindu-Extremisten die Moschee zerstörten, kamen in den folgenden Unruhen etwa 2.000 Menschen ums Leben, zum Großteil Muslime. Auch spätere Pogrome gegen Muslime im Bundesstaat Gujarat im Jahr 2002 gingen auf den Moschee-Streit zurück.

„Indien hat sich weiterbewegt. Junge Leute haben sich weiterbewegt“, sagte Innenminister Palaniappan Chidambaram kurz vor dem Urteil. Er wollte damit sagen, dass im boomenden Indien von heute der alte Religionsstreit keinen Platz mehr habe. Dabei pflichteten ihm diesmal auch die Vertreter der hindu-nationalistischen Oppositionspartei BJP zu, deren Vertreter den gewaltsamen Konflikt 1992 noch angezettelt hatten. Derzeit aber glaubt auch die BJP mit radikalen religiösen Aktionen keine Wähler mehr gewinnen zu können.

Doch bleiben die Folgen der Urteils unklar. „Die Aufteilung des Grundstücks wird sehr umstritten sein, und die Gefahr ist groß, dass Hindus und Muslime in Zukunft nicht friedlich Seite an Seite beten können“, kommentierte Rasha Pandey, Professor für Hindi-Literatur an der Ram-Manohar-Lohia-Awadh-Universität das Urteil gegenüber der taz. Pandey lebt seit Jahren in unmittelbarer Nähe der umstrittenen Moschee. Ihn stört an dem Urteil, dass es zu pro-hinduistisch wirke, weil es implizit die Hindu-Legende vom Geburtsort Ramas bestätige. „Das Urteil ist eine Einladung an muslimische Terrorgruppen, Öl ins Feuer zu gießen“, so Pandey. Muslimische Prozessvertreter kündigten bereits die Revision beim Höchsten Gericht in Delhi an.