Zuwanderung mit Hindernissen

Im Herbst entscheiden die Innenminister über das Schicksal geduldeter Flüchtlinge: Damit könnten über 200.000 Menschen endlich die Chance zur Integration bekommen

Das Asylrecht bleibt ein Schlupfloch für Zuwanderer, solange es keine besseren Möglichkeiten gibt

Der Fall der kurdischen Familie Aydin aus Berlin, der im Frühjahr für Schlagzeilen sorgte, hat ein grundlegendes Dilemma der deutschen Ausländerpolitik deutlich gemacht: den schwierigen Umgang mit langjährig geduldeten Flüchtlingen, die teilweise seit über zwanzig Jahren bestens integriert in der Bundesrepublik leben und deren Kinder oft hier geboren wurden, die aber dennoch alltäglich von der Abschiebung bedroht bleiben.

Die kurdische Familie Aydin lebt schon seit 17 Jahren mit amtlicher Duldung in Deutschland. Als ihr akut die Abschiebung drohte, wandte sie sich an den Berliner Härtefallausschuss: Der empfahl, ihr ein Bleiberecht zu gewähren, schließlich sei sie geradezu vorbildhaft integriert. Im März wurde eine der Töchter, die sich in einem Projekt gegen Antisemitismus engagiert hatte, sogar von Bundespräsident Horst Köhler im Schloss Bellevue empfangen; die Geschichte ging bundesweit durch die Medien. Doch über ein Bleiberecht entscheidet allein Berlins SPD-Innensenator Ehrhart Körting, und der sagte Nein. Nach einem Urteil des Berliner Verwaltungsgerichts, das vor zwei Wochen den Asylfolgeantrag der Familie ablehnte, steht ihrer Abschiebung nun nichts mehr im Wege. Nur die drei älteren Töchter dürfen zunächst bleiben, bis sie ihre Ausbildung beendet haben. Die vier jüngeren Kinder, die allesamt in Deutschland geboren sind, müssten aber mit den Eltern in die Türkei „zurück“.

Immerhin hat der Berliner Innensenator – als Einziger neben seinem Kollegen aus Mecklenburg-Vorpommern – kürzlich einen Abschiebestopp verhängt. Er gilt bis Jahresende für diejenigen Flüchtlinge, die unter eine Altfallregelung fallen könnten, über die eine Konferenz der Innenminister von Bund und Ländern im Herbst beraten will. Diese Regelung ist überfällig: Ungefähr 200.000 Personen könnten davon profitieren – Menschen, die als langjährig geduldete Flüchtlinge teils seit Jahrzehnten in Deutschland leben. Die meisten von ihnen stammen aus Exjugoslawien, aus der Türkei und aus dem Libanon. Viele leben seit über zehn, manche schon seit zwanzig Jahren in Deutschland – mit amtlichen Duldungen, die immer wieder verlängert werden, aber ohne Chance auf eine gesicherte Zukunft.

Denn „geduldet“ sein bedeutet, keinen sicheren Aufenthaltstitel und damit kein Recht auf ein dauerhafte Existenz in der Bundesrepublik zu haben: Stattdessen immer wieder Besuche bei der Ausländerbehörde, die nur eine befristete Sicherheit für jeweils wenige Monate gewährt – und immer wieder die Angst, dass diesmal doch eine Abschiebung angekündigt wird. Angebote zur Integration hat die Bundesrepublik diesen langjährig geduldeten Flüchtlingen nicht gemacht: keine Sprachkurse, kein Recht auf Arbeitsaufnahme. Selbst die Ausbildung oder ein Schulbesuch, der über die Dauer der Schulpflicht hinausgeht, war und ist für geduldete Kinder und Jugendliche in vielen Bundesländern ein Problem.

Gerade für Kinder ist diese Lebenssituation nur schwer zu bewältigen. Viele kamen einst als Babys oder Kleinkinder mit ihren Eltern nach Deutschland, andere wurden erst hier geboren und besitzen kaum eine Bindung an den ursprünglichen Wohnort ihrer Eltern. In der Schule haben sie die Gelegenheit, Deutsch zu lernen, sich mit dem Leben in Deutschland vertraut zu machen, Freundschaften zu schließen und Bindungen zu knüpfen – kurz gesagt, sich zu integrieren. Dass dies eine Integration unter Vorbehalt bleiben muss, liegt weniger an ihnen als daran, dass ihnen diese Entscheidung gar nicht offen steht.

Auch eine Altfallregelung würde nicht alle Probleme lösen. Das zeigt das Beispiel von vier Geschwistern, die die Berliner Ausländerbehörde derzeit nach Bosnien abschieben will – in ein Kinderheim. Denn die vier Roma-Kinder im Alter von 9 bis 16 Jahren leben ohne Eltern in Berlin. Die Eltern kamen einst als Kriegsflüchtlinge in die Stadt. Doch der Vater verschwand nach der Scheidung von der Mutter, und diese wurde im vergangenen Jahr alleine nach Bosnien abgeschoben. Seither gilt die psychisch labile Frau als verschwunden und die vier Geschwister, von denen zwei in Berlin geboren sind, leben bei ihrem Großvater, der nun ihr Vormund ist. Als ehemaliger Gastarbeiter hat er einen sicheren Aufenthaltstitel, doch den Kindern nützt das wenig. Denn von 2000 bis 2002 lebten sie mit ihren Eltern in den USA, deshalb gälte eine Altfallregelung für sie nun nicht. Berlins Innensenator Körting hat den vier Geschwistern nun kürzlich einen befristeten Aufenthalt zugestanden – unter der Bedingung, dass der Staat nicht für ihren Lebensunterhalt aufkommen muss: eine etwas andere Art der Duldung.

Kein halbwegs humanes Zuwanderungsgesetz könnte so hohe Hürden für den Erwerb eines Bleiberechts festlegen, wie sie langjährig geduldete Flüchtlinge nehmen müssen: Nur wer es schafft, sich trotz aller Benachteiligungen vorbildlich zu integrieren und sich nichts zuschulden kommen zu lassen, hat eine Chance, das Bleiberecht zu erhalten – eine Chance, die aber letztlich noch immer von der Gnade der zuständigen Innenminister abhängt. Ein härteres Auswahlverfahren ist kaum denkbar. Eine andere Form der Zuwanderung nach Deutschland ist heute jedoch kaum mehr möglich – es sei denn über den Weg der „Familienzusammenführung“, etwa durch Heirat, als hochqualifizierte Arbeitskraft oder gar als Unternehmensgründer, wenn man einmal von den inzwischen stark begrenzten Möglichkeiten absieht, als Spätaussiedler und jüdischer Kontingentflüchtling ins Land zu kommen.

Vielen, die dennoch nach Deutschland kommen wollen, bleibt nur der Weg über das Flüchtlings- und Asylrecht. Hier vermelden die Statistiken seit Jahren massiv sinkende Zahlen: dazu haben die so genannte Drittstaaten-Regelung, aber auch Änderungen der anerkannten Asylgründe beigetragen. 1991 kamen noch über eine Viertelmillion Asylbewerber, zehn Jahre später noch fast 120.000. Im vergangenen Jahr wurden nur noch knapp 30.000 Asyl-Neuanträge gestellt, im ersten Halbjahr diesen Jahres waren es wenig mehr als 10.000. Auf Anerkennung hoffen kann davon lediglich ein Prozent, weitere knapp drei Prozent der Flüchtlinge bekommen Abschiebeschutz. Sie dürfen also befristet bleiben: als Geduldete. Um die Probleme dieser Zuwanderergruppe zu lösen, darum drücken sich die Innenminister jedoch schon seit langem herum. Auch der hochgelobte „Integrationsgipfel“ im Juni hat dieses Thema außen vor gelassen – zusammen mit den Vertretern der Flüchtlingsorganisationen.

Kein humanes Zuwanderungsrecht könnte so hohe Hürden bauen, wie sie für Flüchtlinge gelten

Es wäre gut, wenn es wenigstens der Innenministerkonferenz in diesem Herbst endlich gelingen würde, den rund 200.000 geduldeten Flüchtlingen eine Perspektive zu bieten. Doch auch wenn solche „Altfällen“ damit endlich als Zuwanderer anerkannt würden: eine faire Flüchtlingspolitik wäre das noch nicht, ebenso wenig wie eine faire Zuwanderungspolitik. Die Grundsteine dafür müssen immer noch gelegt werden.

ALKE WIERTH