Eine wilde Hoffnung

BUCHVORSTELLUNG Das Warten ist unterschätzt: Erkundungen eines ungeliebten Zustands

Der Ruf des Wartens ist auf den Hund gekommen. Es ist ein Zustand, den wir literarisch verklären und praktisch scheuen wie die Pest. Dabei lohnt er eine genauere Betrachtung: Wer warum warten muss, sagt viel aus über die Verfasstheit einer Gesellschaft. Früher mussten die verwitweten Baronessen in Frankreich auf dem Bett liegend das Ende der Trauerzeit abwarten, die hungernden Russen unter Stalin taten so, als gingen sie spazieren, weil es verboten war, vor Geschäften zu warten. Und heute? Es scheint, dass nur die Hilflosen warten. Die Alten in den Heimen, die auf Besuch hoffen. Der Verlassene, der sich nicht schnell nach neuen Partnern umsieht. Der Flüchtling, der keine Aufenthaltsgenehmigung bekommt.

Dabei ist das Warten auch Ausdruck großer und manchmal irrationaler Hoffnung. Es gibt keine Garantie, dass es sich lohnen wird und oft liegt etwas Intimes und Zartes darin, das die Wartenden ein Stück weit aus ihrer Umgebung und der Gegenwart heraus nimmt. Aber diese Qualität ist aus dem Blick geraten.

Die taz-Redakteurin Friederike Gräff ist in die Geschichte des Wartens hinabgestiegen. Sie hat religiöse Sekten gefunden, die dringlich auf das Weltende warteten und Witwen, deren Trauerzeit immer länger dauerte als die der Witwer. Warten war lange Frauensache, auch in den ewigen Schlangen vor den Läden des Ostblocks. Sie hat nach dem Warten der Samen in der Erde geforscht, nach der Gerechtigkeit von Transplantationswartelisten gefragt und den Erfahrungen einer Paarvermittlerin zum Warten auf die Liebe.

Und nicht zuletzt hat sie Menschen getroffen, für die das Warten zum bestimmenden Thema ihres Lebens wurde: etwa eine Schriftstellerin auf der Suche nach der nächsten Idee, einen Sicherungsverwahrten, der auf den Freigang wartet, eine Prostituierte, die auf den nächsten Freier hofft, und einen alten Mann, der den Tod erwartet. Gemeinsam ist ihnen eines: ihre Geschichten sind solche von Hoffnungen. Enttäuschten, erfüllten, ungewissen.  (taz)

„Warten. Erkundungen eines ungeliebten Zustands“ – Buchvorstellung im taz-Salon: 19.30 Uhr, Kulturhaus 73