Rauswurf bei Air France

ZIVILCOURAGE Solidarität mit Abschiebehäftlingen kostet Vogelzähler Job: Als „Vertreter Niedersachsens“ darf er nicht Stellung beziehen

■ Manchmal verhindern Passagiere Abschiebungen: Indem sie vor dem Start aufstehen und sich weigern, sich zu setzen, solange ein Flüchtling gegen seinen Willen an Bord bleiben muss. Aktivisten versuchen teilweise schon beim Check-In, Passagiere auf eine geplante Abschiebung bei ihrem Flug aufmerksam zu machen.

■ Läuft der Protest gut, sprechen die Piloten daraufhin mit dem Abzuschiebenden und fordern die begleitenden Polizisten auf, das Flugzeug mit dem Abzuschiebenden wieder zu verlassen. Manchmal muss aber auch der Passagier sich setzen – oder gehen.

■ Mit vierstelligen Bußgeldern kann solches Verhalten theoretisch geahndet werden. In der Praxis gab es jedoch bislang in Deutschland keine nennenswerten Sanktionen.

■ Nach der „Deportation Class“-Kampagne im Jahr 2001 hat eine Reihe europäischer Airlines erklärt, bei Linienflügen niemand mehr „gegen seinen Willen“ zu befördern. Nicht immer halten sie sich an diese Selbstverpflichtung.

■ Mit Charterflügen haben Ausländerbehörden auf diese Praxis zivilen Ungehorsams reagiert: Sie mieten – teils koordiniert von der EU-Grenzschutzagentur Frontex – ganze Flugzeuge. Dort sitzt außer Polizisten und Flüchtlingen niemand mehr an Bord, der protestieren könnte.  CJA

VON THOMAS SCHUMACHER

Die Verwaltung des Nationalparks Niedersächsisches Wattenmeer hat den Cuxhavener Vogelkundler Gerhard Nikolaus von einem Internationalen Vogelzählprojekt im westafrikanischen Guinea Conakry ausgeschlossen. Der Grund: Nikolaus hatte sich am 16. Januar auf den Hinflug nach Guinea am Zwischenstopp in Paris für Flüchtlinge eingesetzt. Die beiden Afrikaner, eine Frau und ein Mann, sollten von Paris aus mit dem gleichen Flugzeug, in dem die Vogelzähler saßen, in ihre Heimat abgeschoben werden.

Nikolaus sagte der taz, er habe zunächst das Flugpersonal gebeten, ihm einen anderen Platz zuzuweisen, weil er die Schreie der beiden Afrikaner nicht ertragen konnte. Da das Flugzeug ausgebucht war, musste Nikolaus auf seinem Platz bleiben. Daraufhin habe er die begleitenden Polizisten gebeten, die zu eng anliegenden Handschellen der Afrikaner zu lockern. „Sechs französische Polizisten begleiteten die Frau, zwei niederländische den Mann“, sagt Nikolaus. Während die Niederländer relativ freundlich gewesen seien, hätten sich die Franzosen „rabiat“ benommen.

Auch weitere Passagiere protestierten gegen die Behandlung der beiden Afrikaner. Eine Frau machte Fotos von der Situation. Nikolaus’ Kollegen, eine Vogelkundlerin und zwei Mitarbeiter der Nationalparkverwaltung, verhielten sich neutral. „Die Situation im Flieger war eskaliert. Wir haben Gerhard gebeten sich zurückzuhalten. Aber er ist nochmal zu den Polizisten gegangen und hat mit ihnen diskutiert“, erinnert sich Gregor Scheiffahrt von der Nationalparkverwaltung, Mitglied des Zählteams. Und weiter: „Wir wollten die Situation beruhigen.“

Stattdessen seien die Polizisten immer nervöser geworden. Auch die Fluggäste schienen sich in zwei Lager, pro und contra Abschiebung, zu spalten, sagt Gregor Scheiffahrt. Danach lief die Aktion völlig aus dem Ruder. „Plötzlich wurde eine Gangway an den Eingang geschoben und ein Trupp schwer bewaffneter Polizisten betrat mit Schildern und Knüppeln die Maschine“, so Nikolaus. Er und zwei weitere Passagiere seien aus dem Flugzeug gezerrt worden und stundenlang auf einem Revier wegen „Gefährdung der Flugsicherheit“ und „Widerstands gegen die Staatsgewalt“ festgehalten worden.

Die drei anderen Vogelzähler hatten mittlerweile freiwillig das Flugzeug verlassen. Am nächsten Morgen reiste das ganze Team mit einem Auto zurück nach Bremen. Hier kauften die Nationalpark-Angestellten neue Tickets nach Guinea. Allerdings nur drei. Gerhard Nikolaus wurde bedeutet, seine Mitarbeit sei nicht mehr erwünscht. „Im privaten Gespräch ist mir klar gesagt worden, als Privatmann könne ich machen, was ich wollte, aber als Repräsentant des Landes Niedersachsen hätte ich keine Stellung für die beiden Afrikaner beziehen dürfen“, sagt Gerhard Nikolaus zur taz. Das Land Niedersachsen finanziert teilweise das Vogelzählprojekt. Nikolaus, der sich nach seiner Aussage auch schon auf früheren Flügen für Abschiebehäftlinge eingesetzt hatte, versteht die Welt nicht mehr. „Wenn man sich für Asylanten einsetzt, ist man nicht würdig, Vertreter des Landes Niedersachsen zu sein? Das ist krass“, so Nikolaus.

Zu allem Überfluss konnte die Zählung in Guinea nun nicht fachlich korrekt durchgeführt werden. „Den anderen Kollegen mangelte es an ausreichenden Afrika und Sprachkenntnissen“, so der Vogelkundler, der selbst lange auf dem Kontinent gelebt hat. Wer die erneut angefallen Reisekosten für seine ohne ihn nach Guinea fliegenden Kollegen übernimmt, ist derzeit noch nicht geklärt.