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Gesichter, lässig bis divenhaft

AUSSTELLUNG Mit „Wols Photograph. Der gerettete Blick“ zeigt der Berliner Martin-Gropius-Bau das fotografische Werk des vielseitigen Künstlers Wols – eine brillant kuratierte Schau

Wols experimentiert mit Stillleben und Fotogrammen herum und hängt das, was er und seine Frau essen werden, an ein Scheinwerferstativ: ein Kaninchen

VON BRIGITTE WERNEBURG

Der Raum, mit dem die Ausstellung „Wols Photograph. Der gerettete Blick“ eröffnet, kommt wie ein Schock. Mit Serien kleiner Porträtaufnahmen gefüllte Holzrahmen sind zu Tableaus zusammengefügt, wie man sie vom Künstlerpaar Bernd und Hilla Becher kennt. Das schaut mehr nach Naturkunde- als nach Kunstmuseum aus – oder nach der Beispielsammlung eines Passbildstudios. Einladend sieht es nicht aus.

Doch es lohnt die Überwindung, es lohnt, die Bilder genau zu studieren – um zu erkennen, worauf es die Präsentation anlegt, wenn sie methodisch, nicht ästhetisch vorgeht. Dann wirkt sie schon so wie eine Art kleines Naturkundemuseum der Porträtfotografie, wenn man die Posen konventionellen Posierens in allen ihren Variationen kennenlernt, von lässig bis divenhaft, vom Kaffehaus- bis zum Starschnittgesicht. Und vor allem sieht man dem Fotografen Wolfgang Schulze dabei zu, wie er sich seinen Modellen mehr und mehr annähert, wie er dabei immer sensibler, immer subtiler wird und den Zeitgeschmack in seine eigene, individuelle Perspektive überführt.

Wols, wie er sich seit 1937 nennt, ist Autodidakt im Bereich der Fotografie, obwohl durch ein fotografisches Praktikum mit der professionellen Seite des Metiers vertraut. Der 1913 in Berlin geborene Wegbereiter des Informel, der von Paris ausgehenden abstrakten Kunst der Nachkriegszeit, geht 1932 in die französische Hauptstadt, um als Porträtfotograf zu arbeiten.

Auch wenn er dort schnell Zugang zum Kreis der Surrealisten bekommt und Persönlichkeiten der Theater-, Literatur- und Kunstszene kennenlernt, ist das nicht unbedingt eine gute Idee. Denn Paris ist zu dieser Zeit Tummelplatz bedeutender Fotografen, zumal nach 1933, als viele deutsche Fotografen aus rassischen oder politischen Gründen zu emigrieren gezwungen sind. Man Ray, George Hoyningen-Huene, Gisèle Freund, Ilse Bing, Brassai, André Kertész, Philippe Halsman, Germaine Krull und Lisette Modelle, sie alle fotografierten in den 30er Jahren in Paris mit ungefähr den gleichen Absichten in ungefähr den gleichen Kreisen wie Wols.

Dieser hat dann 1937 eine Ausstellung in der für Fotografie bekannten Galerie de la Pléiade. Dabei wird sein Name in einem Telegramm zu Wols verkürzt, womit er seinen Künstlernamen gefunden hat. Im gleichen Jahr fotografiert er den Pavillon de l’Elégance auf der Pariser Weltausstellung, sein erster und einziger professionellen Auftrag. Obwohl es für ihn nicht einfach ist, mit der Fotografie Geld zu verdienen, schafft er von 1932 bis 1939 ein sehenswertes fotografisches Werk, an das er aber nicht mehr anknüpft, als er sich nach dem Krieg der Zeichnung und Malerei zuwendet. Nach seinem frühen Tod 1951 gerät seine fotografische Arbeit in Vergessenheit. In der ersten kunsthistorischen Entdeckerwelle der Fotografie Ende der 1970er Jahre wird er wiederentdeckt.

Der Kunstwissenschaftler Laszlo Glozer stellt ihn aus, seine Monografie „Wols Photograph“ wird zum Standardwerk. Die Schau im Martin-Gropius-Bau stammt vom Dresdner Kupferstichkabinett, das den weltweit bedeutendsten Bestand von Wols’ fotografischem Oeuvre verwahrt, auch dank des Nachlasses der Schwester, der zum 100. Geburtstag des Künstlers im letzten Jahr aufgearbeitet und in einem kiloschweren Bestandskatalog dokumentiert wurde.

Diese Grundlagenarbeit ist, wie schon gesagt, in der Ausstellungspräsentation deutlich spürbar. Sie macht die Ausstellung zu einem ganz besonderen Erlebnis. Durch die strenge, systematische Hängung, die medienimmanente Fragen genauso reflektiert, wie sie Wols’ künstlerische Einfälle und Entdeckungen im Umgang mit der Fotografie verfolgt, wird die besondere Eigenart seines fotografischen Oeuvre offengelegt. In Gegenüberstellungen von Vintage und Modern Prints bestechen dann die Abzüge aus den 30er Jahren durch einen feinen Elfenbeinton, der offenbar nie wieder zu reproduzieren ist. In diesem Ton aber steckt der Zeitgeist der Wol’schen Porträtkunst. Kein Wunder, dass die Dresdener über jeden Vintageprint froh sind, der überdauert hat.

In der dichten Reihung der Porträts, Stadtansichten, Stillleben und Fotogramme wird ein eigenwilliger Stil deutlich, der sich, ohne sie zu negieren, den Vorgaben des Zeitgeistes wie der künstlerischen Avantgarde nicht beugt. Konsequent navigiert sich Wols durch den verspielten Surrealismus genauso wie durch die Auf- und Untersichten des Neuen Sehens, in denen er die Pariser Straßen und ihren Asphalt festhält. Dank Motiven wie etwa einem Ladeneingang, die wie eine Hommage an den französischen Fotografen Eugène Atget wirken, findet Wols zu seinem eigenen Bildstil.

Als er ab 1938 die Wohnung immer seltener verlässt, beginnt er mit Stillleben und Fotogramm zu experimentieren und hängt das, was er und seine Frau essen werden, nämlich das Kaninchen, an ein Scheinwerferstativ. Ein großartiges Bild. Verstörend, verrückt, verwegen und doch traurig, elegant. Wer erfahren will, was ein eigenständiges Werk und seine eindrückliche Wirkung und Schönheit ausmacht, gerade wo es, wie im Falle von Wols, für die Fotografie nicht wegweisend oder Paradigmen stürzend ist, kommt an dieser brillant kuratierten Ausstellung nicht vorbei.

■ Bis 22. Juni, Martin-Gropius-Bau, Berlin, Katalog 33 bzw. 68 Euro

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