PARALLELGESELLSCHAFTEN
: In Kottis Sport’s Bar

Ich mag diese Parallelgesellschaft

In der Parallelgesellschaft des Franziskaners in der Dresdener Sackgasse will ich mir das Spiel von Doatmund, wie man in Doatmund sagt, angucken. Aus einer Hofeinfahrt quillt eine andere Parallelgesellschaft in Form einer verschleierten Braut in einem dieser beeindruckenden Brautkleider, bei denen man Angst hat, sie könnten einen Schmutzfleck oder eine Delle abkriegen, und bei denen man sich wundert, dass sie vom bloßen Hingucken nicht zerfallen.

Begleitet wird die Braut von einer jaulenden Tröte und einer Pauke. Vorsichtig wie wertvolles Porzellan schleicht die Braut zu einem nagelneuen Audi und wird darin verstaut. Die Hochzeitsgesellschaft folgt ihr und schwärmt aus, aber ich kann keinen Zeremonienmeister ausmachen. Alle stehen ratlos herum. Wie ich. Es sieht fast so aus, als ob das Brautpaar seine Flitterwochen im Auto verbringen wird, das mit einer Schleife wie ein Geschenk verpackt ist und wahrscheinlich auch eins ist.

Aber dann setzt sich die Autokolonne in Bewegung. Das Fenster des Audis schnurrt herunter und – zack – drängeln sich zehn halbwüchsige türkische Jungs vor der sich öffnenden Büchse der Pandora. Das türkische Hochzeitshupkonzert beginnt, und ich schleiche mich in „Kottis Sport’s Bar“, ein türkisches Wettbüro, weil man hier in Ruhe gucken kann und nicht von dem merkwürdig tumultuösen Verhalten merkwürdiger Fans belästigt wird.

Neben mir sitzt einer mit Glatze und Lederjacke und dicken Geldbündeln. Ab und zu werden Scheine über den Tisch hin und her geschoben. Ich würde auch gerne wetten, aber ich verstehe die ausliegenden Wettzettel nicht. Und auch sonst verstehe ich nichts, und gerade das ist äußerst angenehm. Ich mag diese Parallelgesellschaft. Ich glaube sogar, dass Doatmund deswegen gewonnen hat. Die Barfrau grinst mich freundlich an, als ich gehe.

KLAUS BITTERMANN