CHRISTIAN BUSS DER WOCHENENDKRIMI
: Ausbrecher und Engel

Am besten ist der bayerische „Tatort“, wenn er ein bestimmtes Quartier in den Mittelpunkt rückt. In dieser Episode ist es sogar nur ein einziger Gebäudekomplex: die Justizvollzugsanstalt Stadelheim, jener Knast, in dem einst Adolf Hitler ganze vier Tage einsaß und später die Mitglieder der Weißen Rose hingerichtet wurden. Ein Ort also, in dem sich Ablagerungen von den düstersten Kapiteln deutscher Geschichte finden.

Umso bemerkenswerter, dass hier Beamte ihren Dienst versehen, die ihren Glauben an die Menschlichkeit bewahrt haben – und freundlich bis fahrlässig gegen die Vorschriften handeln. Da ist etwa der Aufseher, der einen süchtigen Insassen vor Bettruhe in die Dusche lässt, auf dass er sich dort einen Schuss setzen kann. Oder die Schließerin Hoflehner (Anneke Kim Sarnau), die dem algerischen Drogendealer Adub (Medhi Nebbou) bei der Flucht hilft, weil sie glaubt, dass eigentlich jeder eine zweite Chance verdient.

In die Glückseligkeit führen diese Anfälle von Humanismus allerdings nicht: Dem Häftling mit dem Heroinproblem wurde derart reiner Stoff untergeschoben, dass er daran krepiert, und der algerische Ausreißer nimmt nicht etwa den Express in die alte Heimat, sondern rückt seiner Befreierin auf die Pelle.

Einen außergewöhnlichen Knastschocker haben Magnus Vattrodt (Buch) und Jobst Christian Oetzmann (Buch und Regie) da nach Friedrich Ani in Szene gesetzt. Batic (Miroslav Nemec) und Leitmayr (Udo Wachtveitl) bleiben dabei im Hintergrund. Während die Kommissare in einem Kellerloch in Stadelheim, wo die Ratten an den Klodeckel klopfen, den Überdosismord zu klären versuchen, verschiebt sich das emotionale Zentrum zum Ausbrecher und zum Schließer-Engel, die in einem aufreibenden Duell die Grenzen der Freiheit und die Allmacht des Bösen durchspielen.

Ein Melodram aus München-Stadelheim über Glaube, Liebe und Gewalt.

■ München-„Tatort: Die Heilige“, Sonntag, 20.15 Uhr, ARD