Der Krimi des begabten Kindes

CRIME SCENE Mit ein bisschen Hilfe von Agatha Christie: „Handbuch der Detektive“ von Jedediah Berry

Als der amerikanische Autor Jedediah Berry in Deutschland war, um seinen Roman „Handbuch der Detektive“ vorzustellen, erzählte er treuherzig, er habe erst beim Schreiben gemerkt, dass er im Begriff war, einen Krimi zu schreiben. Da er selbst aber nie Krimis lese, sei seine Mutter, die Agatha Christie liebe, fortan seine wichtigste Beraterin gewesen. Das ist natürlich eine Legende. Denn Mr. Berry hat sehr viel anderes gelesen, das weitaus einflussreicher auf sein eigenes Schreiben war. Und ein Krimi ist sein Buch auch nicht geworden. Eher eine surrealistische Wundertüte, in der ein bisschen was von allem ist. Kafka und Borges liegen als Paten nahe, ein paar winzige Spuren Agatha Christies mögen auch mit eingeflossen sein, doch der subtile Humor, der das Ganze durchzieht, stammt mit ziemlicher Sicherheit original vom Autor selbst.

Die Freude des Lesers am „Handbuch für Detektive“ liegt häufig im Absurden. Denn obgleich sich durchaus eine Handlung von annähernder, wenngleich recht verquerer Folgerichtigkeit entwickelt, ist der Roman bevölkert von Figuren, deren Handlungsmotive uns letztlich schleierhaft bleiben müssen. Das beginnt bei der Hauptperson, einem gewissen Charles Unwin, den wir dabei kennen lernen, wie er im Bahnhof einer Frau im karierten Regenmantel nachspioniert. Warum er dies tut, weiß Unwin selbst nicht; er kann nicht anders.

Unwin arbeitet als Schreiber in einer Detektivagentur, die es an Größe und Undurchsichtigkeit gut mit Kafkas Schloss aufnehmen kann.

Als der Detektiv verschwindet, dessen Schreiber er ist, wird Unwin selbst in den Detektivrang erhoben, um den Verschollenen wiederzufinden. Eigenartigerweise wird daraufhin die Frau im karierten Regenmantel zu Unwins Schreiberin gemacht, doch deren Mutter hat möglicherweise mit dem Verschwinden des anderen Detektivs zu tun.

Die verwickelte Handlung, die von einer Art Traumlogik gesteuert wird, scheint sich permanent im Kreise zu drehen. Immer wieder tauchen neue Personen auf, um gleich wieder ab- und später woanders wieder aufzutauchen. Ein großer Haufen Wecker spielt eine gewisse Rolle. Man gibt es bald auf, wirklich etwas verstehen zu wollen, da man zunehmend einsieht, dass es darauf überhaupt nicht ankommt.

Und an sich ist es sehr amüsant, dieses postmoderne Spiel mit literarischen und filmischen Vorlagen. Ja, gerade die visuelle Ausarbeitung im Stil eines Stummfilms des frühen 20. Jahrhunderts ist ausgesprochen exquisit, und der Film, der dazu im Kopf läuft, ist schon so opulent ausgestattet, dass Tim Burton, wenn er irgendwann diesen Roman verfilmt, dadurch eine Menge Arbeit erspart bleibt. Und trotz allen Vergnügens, das man über weite Strecken bei der Lektüre hat, ermüdet man irgendwann doch. Und fühlt sich irgendwie so, als sehe man einem hochbegabten, hyperkreativen Kind stundenlang beim allzu selbstvergessenen Spielen zu. Als Mitspieler wird man dabei leider gar nicht gebraucht.

KATHARINA GRANZIN

Jedediah Berry: „Handbuch für Detektive“. Aus dem Englischen von Judith Schwaab. C. H. Beck, München 2010, 383 Seiten, 19,95 Euro