Neues Wahlvolk gesucht

SPD-Vizekanzler Müntefering fordert ein kommunales Wahlrecht für BürgerInnen aus dem nicht-europäischen Ausland. Integrationsräte und Gewerkschaften in NRW planen Kampagne

VON NATALIE WIESMANN

Auch MigrantInnen ohne deutschen Pass sollen mitbestimmen dürfen, was in ihrer Stadt passiert. Die Forderung von SPD-Vizekanzler Franz Müntefering nach einem kommunalen Ausländerwahlrecht für Nicht-EU-Ausländer in der gestrigen Ausgabe des Magazins Stern wird von vielen Seiten in Nordrhein-Westfalen unterstützt: Die Landesparteien von SPD und Grünen, aber auch der Verein „Mehr Demokratie NRW“ und MigrantenvertreterInnen unterstützen den Vorstoß von Müntefering.

„Wenn es eine Chance für die Einführung eines kommunalen Ausländerwahlrechts gibt, dann unter einer großen Koalition“, sagt Britta Altenkamp, stellvertretende SPD-Landesvorsitzende und integrationspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im Landtag. Auch Grünen-Landesvorsitzender Arnd Klocke setzt seine Hoffnung auf die schwarz-gelbe Bundesregierung: „Wir hoffen, dass die CDU das Versprechen einlöst, ihre bisherige Ablehnung zu überdenken.“

Altenkamp und Klocke beziehen sich dabei auf einen Passus in den Koalitionsvereinbarungen im Bund, nach dem die Erweiterung des kommunalen Wahlrechts auf Nicht-EU-Ausländer „überprüft“ werden soll. Für eine Einführung müsste die Verfassung geändert werden und dazu bedarf es einer Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag. 1990 hatte das Bundesverfassungsgericht einen Vorstoß der Bundesländer Schleswig-Holstein und Hamburg mit der Begründung gestoppt, dass das Wahlrecht auf deutsche Staatsbürger beschränkt bleiben müsse. Wenn das kommunale Wahlrecht davon ausgenommen werden solle, könne dies nur über eine Verfassungsänderung geschehen.

Für die EU-Ausländer gelten bereits andere Regeln: Sie dürfen seit 1996 bei kommunalen Angelegenheiten mitbestimmen. In NRW wählten Spanier, Italiener und Griechen 1999 zum ersten Mal ihre Stadt- und Kreisparlamente. „Was für sie möglich ist, muss auch für Türken und andere Ausländer mit deutschem Pass gelten“, sagt Salim Abdullah, Leiter des Islamarchivs in Soest. Er sieht im kommunalen Ausländerwahlrecht eine echte Möglichkeit, die Interessen von MigrantInnen in die Politik einzubringen – im Gegensatz zu den Integrations- und Ausländerbeiräten, die er als „Alibi-Parlamente“ bezeichnet.

Auch Daniel Schily, Landesgeschäftsführer von „Mehr Demokratie“, hält den Einfluss der kommunalen Ausländervertretungen für unzureichend. Sein Verein sei für eine Erweiterung des kommunalen Wahlrechts, „weil es für ein Gemeinwesen nicht gut sein kann, wenn sich zehn Prozent der Bevölkerung nicht vertreten fühlen.“

Tayfun Keltek, Vorsitzender der kommunalen Migrantenvertretungen in NRW, hält nichts davon, die Wahl von Ausländer- oder Integrationsbeiräten gegen das kommunale Wahlrecht auszuspielen: „Wir brauchen beides.“ Das Verbot der doppelten Staatsbürgerschaft habe zu weniger Einbürgerungen geführt als erhofft. „Deshalb ist es umso wichtiger, dass MigrantInnen aus Nicht-EU-Staaten ihre Bürgermeister und Stadträte wählen können.“ Gemeinsam mit dem DGB und den Kirchen in NRW plant Keltek eine Kampagne für ein kommunales Ausländerwahlrecht.

NRW-Integrationsbeauftragter Thomas Kufen (CDU) steht der Idee eines kommunalen Wahlrechts wie seine Bundespartei ablehnend gegenüber: „Das bringt uns in Sachen Integration nicht weiter“, sagt er. Er und seine Partei setzten weiter auf die Einbürgerung von MigrantInnen. Sein Chef, NRW-Integrationsminister Armin Laschet, will sich zu dem Thema nicht äußern.