Hinein in die Leerstelle

Das neue Magazin „Polar“ widmet sich dem großen Versprechen: der Verbindung von Kultur und Politik

VON EVA BEHRENDT

In Berlin geht das Zeitschriftengründen bekanntlich wie das Brezelbacken. Im Fall von Polar, dem neuen „Halbjahresmagazin für politische Philosophie und Kultur“, ist es nicht ganz so easy gelaufen: Zwei Jahre vergingen, bis das Polar-Konzept Unterschlupf im Frankfurter Campus Verlag fand. Schon Ende 2004 hatte Herausgeber Peter Siller zusammen mit der Bundeskulturstiftung in die Berliner Kunstwerke geladen, um kulturlinke Promis wie den „Parfum“-Regisseur Tom Tykwer oder den Grünen-Politiker Dany Cohn-Bendit (die heute unter anderem im Polar-Beirat sitzen) über „Die Wiederkehr des Politischen in Gesellschaft und Kultur“ reden zu lassen – und das Interesse an Polar zu testen. Die Veranstaltung war proppenvoll, und nicht wenige der Freelancer und Linksdiskursler freuten sich darauf, dass Polar politics und arts verbinden und „ihre“ Zeitschrift werden würde: Akademischer als Dummy, linker als der Merkur, politischer als Cicero, lesbarer als Texte zur Kunst, hipper als konkret und kleinformatiger als Lettre International.

Jetzt ist die erste Ausgabe erschienen, und vieles spricht dafür, dass hier ein Netzwerk aus (oft notgedrungen) freischaffenden Kulturarbeitern und in die Provinz verbannten Wissenschaftlern für ihresgleichen schreibt. Schon die geschmackvolle Tristesse des menschenleeren Berliner Clubs auf dem Cover signalisiert: Leute, uns fehlt etwas – „Politisierung“. Dieses Thema wird auf den folgenden 200 Seiten in über vierzig die Backförmchenlängen von 1–6 Seiten nicht überschreitenden Kurzessays, Interviews, Rezensionen sowie künstlerischen Beiträgen wie Fotostrecken (zum Beispiel von Kai-Olaf Hesse und Naiza Khan) und literarischen Miniaturen (von Kathrin Röggla) durchdekliniert. Den Auftakt macht eine programmatische „Anstiftung zum Uncoolsein“, die Peter Siller, im Brotberuf Sprecher der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung, zusammen mit dem Philosophen Arnd Pollmann verfasst hat. Sie mündet schnell in eine Ruck-Predigt: „Aufgabe von Politik muss es sein …“, „Politische Auseinander-Setzung tut not, denn …“, „Was wir brauchen, das ist …“. Schon möchte man doch lieber cool bleiben.

Dabei wirbt Polar durchaus für die gute, wilde und immer auch paradoxe Sache des Politischen. „Politik ist das Reich der Gefahr, der Leidenschaft, des Subjektiven und der Macht“, definiert der finnische Völkerrechtler Martti Koskenniemi in Abgrenzung von der Sphäre des Rechts und der Institutionen – und denkt dabei ähnlich wie der Althusser-Schüler Jacques Rancière, der Politik nicht ganz so schillernd als „Ausnahme von den Gesetzen“ bezeichnet, denen das Zusammenleben untersteht. Farbe kriegt das Politische in Polar aber kaum, denn auch wenn es um die Praxis geht, ziehen die Autoren semi-akademische Abhandlungen der Reportage vor. So etwa Raul Zelik in seinem lateinamerikanischem System-Vergleich zwischen Venezuela und Kolumbien oder Robert Speth in seinem Aufsatz über die „miese Expertise“ neoliberaler Politikberatung.

Überhaupt: Echte politische Subjekte kommen in Polar selten vor. Vielleicht ja, weil „die offene Gefühligkeit und das Pathos des Libidinösen schleichend aus den Politisierungsdiskursen verdrängt wurden“, wie Jan Engelmann in seinem gewandten Essay über das Verschwinden des Eros aus der Politik feststellt, und „selbst dramatische Anliegen nur im Modus einer gebremsten Emotionalität vorgetragen werden dürfen“. Aber wie holt man die Leidenschaft wieder rein? „Lustlektüren“ weist Polar im Editorial pikiert von sich, und natürlich ist es okay, wenn das Heft seinen Lesern das x-te menschelnde Merkel-Porträt erspart. Ein bisschen mehr Fleisch und Blut täte trotzdem gut.

Das gilt auch für die vielen Beispiele politisierungstauglicher Kunstwerke, die Polar-Autoren eifrig gesammelt haben. Das Spektrum ist breit, kommt aber etwas unfrisch daher. Phänomene wie die „neue Dokumentarkunst“ oder der filmische Realismus der Berliner Schule sind schließlich schon in den Feuilletons rauf und runter analysiert worden und erscheinen hier nicht unbedingt in neuem Licht. Auch die „autoritäre Geste des Wir-Sagens“, die die Literaturwissenschaftlerin Julia Roth den Generationsbestseller-Autoren Florian Illies und Katja Kullmann vorwirft, wurde schon öfter gegeißelt. Das eingeforderte essayistische Ich, das „den eigenen Anspruch auf Definitions-Repräsentations- und Handlungsmacht zur Disposition“ stellt (das auch Roth vermeidet), vermisst man dagegen zunehmend.

Zu den wenigen, die „Ich“ sagen wollen, gehört der Autor und FAZ-Redakteur Dietmar Dath. Im Email-Interview, das Jan Engelmann und Michael Eggers mit ihm geführt haben, taucht vieles auf, was sonst nur beschworen wird. Ein Ich, das leidenschaftliche Meinungen vertritt, die auch Abwehr auslösen, das mit seiner Eitelkeit polarisiert, aber auch seine Position reflektiert, mithin politisiert ist. Und ganz nebenbei fällt der vielleicht sinnfälligste Satz der Ausgabe: „Das Quasseln wird immer erlaubter, nur machen darf man nichts.“

Polar. Campus Verlag. 12 €