„Die Krise ist eine Chance für eine andere Politik“

IWF-Kritiker Philipp Hersel fordert neue Regeln für die Kreditvergabe: Gläubiger und Schuldner sollen gleichberechtigt sein

taz: Herr Hersel, der Internationale Währungsfonds steckt in einer Krise. Knallen bei den Globalisierungskritikern schon die Sektkorken?

Philipp Hersel: Grundlegende politische Veränderungen lassen sich am ehesten erreichen, wenn die relevanten Institutionen in die Krise kommen. Die jetzige Krise erscheint uns als eine gute Gelegenheit, das Versagen des IWF in der Öffentlichkeit deutlich zu machen und Änderungen in der Politik gegenüber den Schuldnerländern zu erreichen.

Länder wie Brasilien und Argentinien haben durch ihre vorzeitige Schuldenrückzahlung die Krise des IWF mit ausgelöst. Waren es also gar nicht die Globalisierungskritiker, die zum Niedergang der verhassten Institution beigetragen haben?

Nein, die Bewegung hat hier sicher ihren Anteil gehabt. Genauso übrigens wie die Uneinigkeit der Industrieländer in manchen Fragen. Aber in der Tat bläst dem IWF vor allem aus den Schuldnerländern ein starker Wind entgegen. Das ist nicht zuletzt eine Reaktion der Regierungen auf den Druck ihrer Bevölkerung, die sich die Zumutungen des IWF nicht länger gefallen lassen will.

Können die Menschen in den Entwicklungsländern jetzt also aufatmen?

Daran bestehen leider Zweifel. Möglicherweise konzentriert sich der IWF jetzt, wo ihm die reicheren Kunden weglaufen, erst recht auf die ärmeren Länder. Die müssen mangels alternativer Finanzierungsquellen dessen neoliberale Programme schlucken. Aber auch Brasilien ist ein eher trauriges Beispiel: Die Regierung schickt den IWF zwar in die Wüste, zieht aber nun den neoliberalen Kurs selbst durch. Die Machtverhältnisse in Brasilien haben sich eben nicht geändert durch die Krise des IWF. Diese stellt nur eine Chance für eine andere Politik dar. Sie muss aber auch aktiv ergriffen werden.

Was das in der Praxis heißt, scheint aber in der globalisierungskritischen Bewegung umstritten. Die einen wollen den IWF ganz weg haben, die anderen ihn reformieren.

Es ist relativ unstrittig, dass man für die globale Wirtschaft Spielregeln braucht. Diese Regeln sollten nicht von denen mit den kräftigsten Ellbogen durchgesetzt werden, sondern durch ein multilaterales System. Der IWF ist zwar solch ein System – aber ein äußerst undemokratisches. Wer ohnehin schon viel hat, bekommt die meisten Stimmrechte und kann sich noch weiter bereichern. Wir müssen daher eine andere Machtverteilung erreichen: Gleichberechtigung für Schuldner und Gläubiger oder, wie in der UNO, das Prinzip ein Land – eine Stimme.

Und was würde eine so reformierte Institution dann besser machen?

Sie muss sich aus der Entwicklungshilfe konsequent raushalten, denn da hat der IWF schlicht versagt. Sicher muss sie auch künftig noch Kredite vergeben – aber nur für Notfälle und nicht, damit die Entwicklungsländer auf Pump in Exportländern wie Deutschland Großtechnologien einkaufen. Sie muss außerdem nicht nur auf Defizitländer Druck ausüben, sondern vor allem auch auf die Überschussländer.

So wie das ursprünglich auch gedacht war.

Ja, so wie das bei der Gründung des IWF von Keynes vorgeschlagen, aber von der US-Regierung verhindert worden war. Die jetzige Krise des IWF wäre eine gute Gelegenheit, dieser Idee endlich zum Durchbruch zu verhelfen.

INTERVIEW: NICOLA LIEBERT