Innenansichten eines Weltligisten

Der Wirtschaftsjournalist Henrik Müller will die Bundesrepublik auflösen, damit sie im globalen Wettbewerb besteht. Tja, der Autor hat eben weder von Europa noch von Geschichte oder den Sozialwissenschaften eine Ahnung

VON JAKOB VOGEL

Selbst in den Wirtschaftsteilen der sogenannten seriösen Presse hat es den Anschein, als ob die Ökonomie eines der letzten Felder sei, in denen der Nationalismus fröhliche Urstände feiern darf. Ungestraft werden hier „Wirtschaftskriege“ ausgefochten, die Vorteile „nationaler Standortfaktoren“ gepriesen, internationale Fusionen unter dem Stichwort der „Wirtschaftsmacht“ eines deutschen, französischen oder amerikanischen Unternehmen registriert.

Manager werden manchmal sogar zu nationalen Vorbildern und Helden erklärt. Es spricht demnach einiges dafür, das Thema genauer zu betrachten. Und das hat der Wirtschaftsjournalist Henrik Müller nun in seinem jüngsten Essay über die „Vaterlandsliebe in Zeiten der Globalisierung“ getan.

Müller bietet keine nüchterne Analyse der Bedeutung nationaler Sichtweisen und Stereotypen im Bereich der Wirtschaft, vielmehr ist sein Buch selbst ein Manifest zur nationalen Standortbestimmung und zur „Orientierung“ in der aktuellen wirtschaftspolitischen Diskussion. Als geschäftsführender Redakteur des manager magazins gehört er hierzulande zu den einflussreichen wirtschaftsliberalen Meinungsmachern, was seinen Äußerungen einiges Gewicht verleiht.

Doch bereits die Ausgangsthese des Buches steht auf tönernen Füßen: Wie kann der vom Autor diagnostizierte mangelnde Patriotismus und zu geringe Optimismus der „Deutschen“ einen negativen Einfluss auf die Wirtschaftskraft Deutschlands haben, wenn das Land als „Exportweltmeister“ doch massiv von der weltweiten Verflechtung der Wirtschaft profitiert? Lässt sich überhaupt von einem spezifischen „deutschen Blues“ und einem „für Ausländer vollkommen unverständlichen ökonomischen Fatalismus“ sprechen, wenn auch in Frankreich, Italien, Polen und in vielen anderen Ländern angesichts der weltweiten Entwicklungen die wirtschaftliche Entwicklungsfähigkeit des eigenen Landes eher skeptisch beurteilt wird?

Die phänomenale Unkenntnis über die Diskussionen im Ausland kann nur Kopfschütteln auslösen, zumal wenn sie aus der Feder eines Journalisten stammt, der sich ansonsten eher der „international mobilen Wirtschaftselite“ als „dem immobilen Rest der Nation“ zugehörig fühlt. Jenseits vieler überzogener, aber mit geschliffener Feder formulierter Thesen und manches Halbverdauten aus der historischen und sozialwissenschaftlichen Literatur bietet Müllers Buch jedoch eine interessante Innenansicht der Gedankenwelt jener Spitzen der deutschen Wirtschaft, die sich nach den Worten des deutschen McKinsey-Chefs der Bundesliga entwachsen fühlen und nun stattdessen in der Weltliga spielen wollen.

Folgt man der Sichtweise des Autors, genießen die Angehörigen dieser globalisierten Managementelite in China oder Amerika den ansteckenden „Spirit“ eines weitgehend ungeregelten Kapitalismus, während selbst bodenständige Mittelständler wegen der „spürbaren Feindseligkeit gegenüber Managern“ mittlerweile auf der Flucht ins nahe gelegene, wirtschaftsfreundlichere Ausland seien.

Hinter der vermeintlich globalen Perspektive verschwindet interessanterweise Europa als Handlungsraum und Vorstellungswelt der Wirtschaft fast vollständig. Das ist schon recht seltsam, denn nach wie vor sind die deutschen Unternehmen primär europäisch ausgerichtet und den bisweilen einschneidenden Regelungen der EU unterworfen. Die partielle Blindheit, die der Autor hier wie andernorts für wesentliche Realitäten der deutschen Wirtschaftspolitik an den Tag legt, reflektiert allerdings nur manche Einseitigkeiten, die auch sonst hierzulande vielfach die Debatte über die sogenannte Globalisierung charakterisieren.

Obwohl der Autor mit seinen Akteuren in den Unternehmen ein grundsätzliches Einvernehmen über die angeblich so wirtschaftsfeindliche Situation in Deutschland teilt, wirft er ihnen auch ein „Versagen auf breiter Front“ vor. Als gesellschaftliche Eliten hätten sie es nicht geschafft, ihrer „Führungsaufgabe“ gerecht zu werden und „nationale Ziele“ zu formulieren. Doch statt diesem Argument folgend eine neue „nationale“ Ausrichtung von Wirtschaft und Politik zu fordern, meint Müller, dass den Deutschen aufgrund der Verwicklungen der deutschen Geschichte ein gesamtstaatlich orientierter Nationalismus grundsätzlich versagt sei.

Daher könne nur der regionale „Patriotismus“ die „deutsche“ Antwort auf die Herausforderungen der Globalisierung sein. Mit einer verblüffenden Volte fordert der Autor in diesem Sinne die „Zerschlagung“ der Bundesrepublik, um an die Stelle einer auf nationalen Ausgleich setzenden Wirtschaftspolitik den radikalen Wettbewerb der Regionen zu setzen. Auch die Sozialsysteme möchte Müller in diesem Sinne regionalisieren.

Dem Autor zufolge könnten reiche Bundesländer wie Bayern und Baden-Württemberg auf diese Weise auf einem hohen Absicherungsniveau in den Standortwettbewerb mit den skandinavischen Ländern treten, während die ärmeren nord- und ostdeutschen Regionen sich durch geringere Sozialleistungen „Wettbewerbsvorteile“ mit den osteuropäischen Ländern erarbeiten würden.

Was für eine, ach, so schöne neue, postnationale Welt, die der Wirtschaftsliberale Müller hier als passende Antwort auf die Globalisierung verkaufen möchte. Mit ihr wird er sich im Norden und Osten der Republik, außerhalb der von ihm hoch gepriesenen Managementeliten, wenig Freunde machen.

Henrik Müller: „Wirtschaftsfaktor Patriotismus. Vaterlandsliebe in Zeiten der Globalisierung“. Eichborn, Frankfurt a. M. 2006, 19,90 Euro