Vokale Weltklasse

Die große Händel-Gala markiert so etwas wie das Bergfest des Bremer Musikfestes. Vesselina Kasarova gab ihm den Charakter eines echten Stimmungsgipfels

Wer Vesselina Kasarova hört, für den bekommt die Berufsbezeichnung „Koloratur-Sopran“ – in ihrem Fall Mezzo – eine neue Note: Offenbar handelt es sich nicht nur um die Fähigkeit, eine einzige Wortsilbe mit einer schier unglaublichen Menge von schnell laufenden Tönen zu verbinden, sondern auch um „kolorieren“ im Sinn von Farbe. Denn der Facettenreichtum in der Stimme der aus Bulgarien stammenden Sängerin ist gewaltig, sie verfügt unter anderem über ein außerordentlich gut integriertes Brustregister.

Ihren wirklich makellosen Gesang mischte Basarova bei ihrem Musikfest-Konzert mit einer leicht dämonenhaften Ausstrahlung, unterstützt von der Ausleuchtung auf der Bühne der „Glocke“, die Kasarovas Augen in dunklen Höhlen ruhen ließ. Genau das richtige Setting für Händels Rache- und Trauerarien à la „Scherza Infida“ aus „Ariodante“. Schon die Erinnerung an diesen dichten, gezogenen Ton, mit dem sie sich in der Untreue der Geliebten aalt, kann Gänsehaut hervorrufen.

Der Idee des Abends, die Kompositionen Händels in der Kunst des legendären Kastraten Giovanni Carestini zu spiegeln, kam diese Besetzung im Reichtum der vokalen Möglichkeiten den Umständen entsprechend nah. Die Konzeption stammt von Musikfest-Stammgast Marc Minkowski, dem wiederum das Äußere – und die Freundlichkeit – eines gut lebenden Mönches zu eigen ist. Er hat schon sein halbes Leben mit den „Musiciens du Louvre“ aus Grenoble verbracht, einem ziemlich jungen und außergewöhnlich weiblichen Ensemble, das mit seinen Originalinstrumenten einen erfreulich zart und – bei Bedarf – böse knarzenden Barockklang produziert.

Dass dieser ungemein gut eingespielte Klangkörper auch zu furiosem Getöse fähig ist, zeigte er mit Christoph Willibald Glucks „Semiramis“-Suite, die Minkowski kurzerhand in die Händel-Gala eingeschoben hatte. Programmänderungen – gerade auf Festivals – sind mittlerweile schick und so fügte Minkowski auch noch Glucks frisch den Archiven entrissene Ballettpantomine „Don Juan ou le festin de pierre“ ein, immerhin eine deutsche Erstaufführung.

Aber vor allem ein Werk, das zeigt, dass auch mit rein instrumentalen Mitteln eine komplette Oper darstellbar ist. Da rumpelt gewaltig der „Steinerne Gast“, da gibt es klangmalerische Duelle und luftige Himmelfahrten, Minkowskis komödiantischer Zugriff sorgt ohnehin für Heiterkeit beim Nachvollziehen der bekannten „Don Giovanni“-Geschichte. Außerdem entzerrte die zwischengeschobene Instrumentaloper die beiden „Ariodante“-Fragmente des Racheschwurs und des abschließenden Triumphgesangs, die sonst eine etwas extreme dramaturgische Verdichtung dargestellt hätten. Eine Gala ist dem Wesen nach punktuell, ein kompletter „Guilio Cesare“ etwa, mit dem Minkowski das Musikfest in der Vergangenheit im Musicaltheater beglückt hatte, hat noch eine andere Qualität. Nichtsdestotrotz zeigte sie Höhe- und Endpunkte der barocken „Opera Seria“ Händel‘scher Prägung – und sie ließ eine Kasarova erleben, deren Stimme eine ganze Gemäldesammlung birgt. HB