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Besser scheitern!

Ein Arte-Themenabend versucht die große Frage „Was ist links“ zu beantworten – am Ende ist der Vorhang zu und alle Fragen offen

VON ROBERT MISIK

Die Sagengestalt huscht als Animationsfigur durchs Bild und rollt ihren Stein den Berg hinauf. „Wir müssen uns Sisyphus als glücklichen Menschen vorstellten“, wird Camus zitiert. Und dann die Frage: „War Sisyphus ein Linker?“ Vielleicht ist das die in eine Frage versteckte Botschaft des ehrgeizigen heutigen Arte-Thementages mit dem schlichten Titel „Links“.

Ist Linkssein, wie das die beiden Berliner Filmemacher Margit Knapp und Arpad Bondy im Kernstück des Nachmittags, ihrer Dokumentation „Das linke Ding“ (16.15 Uhr) nahe legen, also nur als fröhliches Scheitern, als ewig aktiv-veränderndes Tun zu haben, das sein Ziel nie erreicht, aber deswegen nicht einfach unterliegt?

Eingeleitet wird der Nachmittag mit einer Dokumentation von Olivier Duhamel und Virginie Linhart über die Sozialdemokratie im 20. Jahrhundert („Das Herz schlägt links“, 14.25 Uhr). Der erste Teil handelt von der Erfolgsgeschichte, dem sozialdemokratischen Beweis, dass der Kapitalismus „zivilisiert werden kann“. Mit allen Aporien: der Politik mit chronisch „schlechtem Gewissen“, wie das der frühere französische Finanzminister Dominique Strauss-Kahn nennt, dass man den Kapitalismus reformerisch stabilisiert, während man in der Programmatik von seiner Überwindung träumt. Mit der Schwierigkeit, kritisch gegenüber einer Gesellschaft zu bleiben, die „man 80 Jahre lang regiert“ (Schwedens Premier Göran Persson). Aber doch mit einem Resultat, das der ersten Hälfte der Doku-Strecke den Titel gibt: „Wohlstand für alle“.

Freilich, auf solche einigermaßen positive Durtöne ist die Sache nur in den ersten 45 Minuten gestimmt. Dann wird der Sound molltönend: Die Mehrheit für Sozialreform und Umverteilung ist von kurzer Dauer, dann folgt die bleierne Zeit von Reagan, Thatcherismus, Triumph des Kapitalismus und der sozialdemokratische „Dritte Weg“. Die Geschichte, die erzählt wird, ist oft gehört, bekannt und erlitten: die Linke in der Krise, ihre Koordinaten verrutscht. Über all dem also: depressiver Sound. Eine einzige Geschichte des Scheiterns.

Knapps und Bondys Stück ist da in jeder Hinsicht anders gestrickt. Schon in Zeichensprache und narrativer Technik wird nicht den „Trente Glorieuse“ – den Wunderjahren des sozial gezähmten, fordistischen Kapitalismus zwischen 1945 und 1975 – nachgetrauert. Ihre Doku ist ein heiterer Clip im MTV-Stil – schnelle Schnitte, schräge Sounds, Interviews und Comic-Strips. Mit dem Ernst ihrer Gesprächspartner schlägt sich das gar nicht. Natürlich, die Linke muss neu beginnen. Sie hat, so Eric Hobsbawm, „noch nicht einmal begonnen, diese Aufgabe zu lösen“. Einfach das Unrecht bekämpfen ist nett, reicht aber nicht, gilt es doch, wie der Pariser Gallimard-Verlagschef Eric Vigne anmerkt, erst „die Komplexität der Welt neu zu denken und dann zur Praxis zu schreiten“.

Disparate Szenerie

Natürlich, so ein Film gibt nicht die Antworten auf die große Frage, wie man denn heute eigentlich noch links sein kann und was das denn bedeuten würde. Dem Konsumterror entsagen? Die Globalisierung kritisieren? All das irgendwie, ist das Fazit des Filmes. Knapp und Bondy porträtieren die disparate Szenerie der neuen „neuen Linken“. No-Globals, Attac, das Kunterbunte und Assoziative, von dem Werner A. Perger in einer Vorbesprechung des Streifens in der Zeit schrieb, dass es zugleich die Stärke dieser Linken wie auch ihre Schwäche zugleich ist.

Eine Botschaft hat all das gewiss: Das Gerede von der Krise der Linken ist doch eine Spur zu schwarz, um wahr zu sein. Aber die große Frage nach der Lobpreisung der Vielheit ist zugleich: Wie wird Politik aus all dem? Vielleicht stellt sie sich noch drastischer im Kontrast mit der Erzählung von der Erfolgsgeschichte der Sozialdemokratie, die an einem Punkt der Entwicklung von sich sagen konnte: „Wir haben jetzt eine Mehrheit für Umverteilung.“ Denn wie ist aus dem Disparaten von heute eine Mehrheit zu machen? Vielleicht mit Zähigkeit und Gelassenheit gegenüber scheinbaren Niederlagen.

Wie man damit durchs Leben kommt, beschreibt die Dokumentation „Das Herz sitzt links“ über das Leben des Verlegers Klaus Wagenbach. Auch wenn das, angesichts der Enttäuschung von Wagenbach über Wolf Biermanns Treulosigkeit (er hat seinem ersten Verleger, kaum war der Ruhm da, den Laufpass gegeben) etwas unangebracht scheint, schwebt über diesem Themenabend doch das versöhnliche Biermann-Motto: „Ewig machen, ewig scheitern / Mach, mach, mach, mach, mach und scheiter / aber scheiter immer besser!“

Arte-Thementag „Links“: Samstag, 16. September. 15.20 Uhr, „Mein Herz schlägt links. Die Sozialdemokratie im 20. Jahrhundert“. 16.15 Uhr, „Das linke Ding“. 17.15 Uhr, „Das Herz sitzt links – Klaus Wagenbach“.

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