die anderen vor zehn jahren über den einmarsch irakischer truppen im nordirak
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Die letzte Stunde Dschalal Talabanis im Norden Iraks scheint geschlagen zu haben. Sollten irakische Truppen die Stadt Sulaymaniya erobern, blieben Talabanis Patriotischer Union Kurdistans (PUK) nur noch einige Dörfer als Rückzugsgebiet. Mit der Vertreibung aus Sulaymaniya wäre der Weg der PUK ins Exil vorgezeichnet.

Die KDP-Führung macht sich wohl Hoffnungen, anschließend in Gesamt-Irakisch-Kurdistan das Sagen zu haben. Massud Barsani wäre dann König der Kurden – freilich von Gnaden Saddam Husseins. Von einem freien Kurdistan brauchten die KurdInnen dann nicht einmal mehr zu träumen.

Zwar mag der durch die internationale Isolation und zusehends aufbegehrende Militärs geschwächte Saddam Hussein bereit sein, dem Irak pro forma eine föderalistische Struktur zu geben. Geherrscht würde dennoch nach Bagdader Manier – und das heißt blutig.

Eine ähnliche kurdische „Autonomie“ gab es bereits vor dem Ende des zweiten Golfkriegs. In der „Hauptstadt“ Arbil tagte ein von Bagdad handverlesenes Regionalparlament, dessen vornehmste Aufgabe darin bestand, Direktiven aus Bagdad abzunicken. Währenddessen wurden die Wälder, die als Rückzugsgebiete für Guerilleros taugten, gerodet und tausende kurdische Dörfer zerstört. Höhepunkt der Unterdrückung war der irakische Giftgasangriff auf die Stadt Halabdscha.

All dies weiß auch Massud Barsani. Seine Familie war massiv von der Kurdenverfolgung betroffen; die Dörfer des Barsan-Tals im Norden der Region wurden von irakischen Truppen geschliffen. Und dennoch sieht Barsani in Saddam Hussein derzeit einen verläßlicheren Partner als in PUK-Chef Talabani. Dabei sollte er von seinem Vater, dem legendären Kurdenführer Mustafa Barsani, gelernt haben, daß sich Saddam Hussein nur so lange an Abmachungen hält, wie sie ihm nützen.

Thomas Dreger in der taz vom 3. 9. 1996