Wie die Arbeiter wohnen

PROJEKT Die Akademie c/o tagte im Neuen Berliner Kunstverein mit seinem „Öffentlichen Seminar zur Raumproduktion der Berliner Republik“

Schnell werden noch die dunklen Flecken auf der weißen Wand überstrichen, damit im Neuen Berliner Kunstverein ein Abend im Rahmen des „Öffentlichen Seminars zur Raumproduktion der Berliner Republik“ stattfinden kann. In unregelmäßigen Abständen organisiert die Architekteninitiative Akademie c/o solche Treffen. Auf der weißen Wand soll der Film von Joachim Schlandt und Joachim Krausse „Arbeiterwohnungsbau“ projiziert werden, erstmals 1973 im WDR ausgestrahlt. Danach wird an diesem Mittwochabend der erste Teil der fünfteilige Filmserie „Küche, Stube usw. – Geschichte der Arbeiterwohnung“ von Jonas Geist und Joachim Krausse aus dem Jahre 1978 zu sehen sein, der Rest soll am Donnerstag folgen.

Der Film „Arbeiterwohnungsbau“ beleuchtet die Mechanismen der Wohnungsversorgung für Gastarbeiter, die in Zwangsarbeiterbaracken aus dem Zweiten Weltkrieg hausten. Das Schwerindustrie-Unternehmen Krupp stellte die Wohnungen in Werksiedlungen zur Verfügung und übte dadurch Druck auf die Arbeitnehmer aus. Hätten sie sich gegen die hohen Mieten gewehrt, wären sie gekündigt worden. Um ihre missliche Lage zu zeigen, wurden die Arbeiter von den Filmemachern zu ihrer Meinung befragt. Man hört unzensierte Antworten, die von einer Mischung von Ohnmacht und Wut zeigen.

Die Serie „Küche, Stube usw. – Geschichte der Arbeiterwohnung“ setzte sich fünf Jahre nach der Ausstrahlung des Films mit der fortgeschrittenen Deindustrialisierung auseinander, durch die das produzierende Gewerbe volkswirtschaftlich an Bedeutung verloren hat. Das Eigenheim auf dem Land erfreut sich wachsender Beliebtheit, Bausparverträge werden abgeschlossen, Freiheit und Ruhe werden erkauft. Familien empfinden die Stadt als zu laut, zu kinderfeindlich und zu teuer.

In der ersten Folge „Mietwohnung oder Eigentum?“ werden die Schwierigkeiten der Finanzierung einer eigenen Wohnung dokumentiert. Ein Arbeiter listet Mark für Mark auf, wie viel Geld er ausgibt und wie viel er verdient. Unterm Strich bleibt kaum etwas übrig. Seine Frau erzählt später von ihrem Alltag als Mutter und Hausfrau. Aus heutiger Sicht schmunzelt man über ihre „altbackene“ Rolle und ihre trockene Art und Weise, wie sie über ihr Leben spricht. Doch dabei wirkt sie ungemein authentisch. Und diese Authentizität, die durch die Nähe zu den Menschen geschaffen wird, zieht sich durch alle der im Neuen Berliner Kunstverein vorgestellten Sendungen. Die Ausmaße der Arbeiterwohnungen von damals sind heute kaum mehr vorstellbar – und ebenfalls kaum vorstellbar ist, wie schlecht vor allem die Gastarbeiter behandelt wurden. Die Zuschauer zeigten sich begeistert von der Informationsfülle an diesem Abend, auch wenn manche auf ihren Smartphones herumtippten, um kurz abzuschalten. LISA MAUCHER