Im Bahnhofskino

Die US-Sender gehen mit einer Rekordzahl neuer TV-Serien in den Herbst. Geworben wird überall – auch in der Grand Central Station und im Museum

CBS machte sogar Werbung auf35 Millionen Hühnereiern

AUS NEW YORK LEIF KRAMP

Der Herbst läutet im US-Fernsehen traditionell den Wettstreit um Marktanteile und die allabendliche Zuschauergunst zur besten Sendezeit ein. Allein die Masse der neuen Serienformate zeugt von einem guten Jahr für die Fernsehbranche. Bis zu sieben neue Produktionen starten in den kommenden Wochen auf nur einem Sender. ABC liegt zahlenmäßig vorn und ist der Sender mit der radikalsten Umstellung seines Programms: 45 Prozent der Sendungen sind neu.

Doch ob die Geschichten über Beziehungsspezialisten („Men in Trees“), Familiendramen („Brothers & Sisters“), Räuber („The Knights of Prosperity“) oder ein hässliches Entlein, das bei einem Modemagazin Karriere machen will („Ugly Betty“), wirklich den Nerv des Publikums treffen, ist derzeit die wahre Millionen-Dollar-Frage. („Ugly Betty“ ist übrigens die US-Version des in Deutschland bei Sat.1 erfolgreichen Formats „Verliebt in Berlin“, das allerdings beileibe keine deutsche Erfindung ist, sondern auf der kolumbianischen Telenovela „Yo soy Betty, la fea“ basiert.)

Kein Wunder also, dass die Sender so ziemlich alles versuchen, um den potenziellen Zuschauern Appetit zu machen. Den Sommer über setzten die Marketingexperten nicht nur auf die üblichen großflächigen Plakate, ganzseitige Illustrierten-Anzeigen und Programmvorschauen in Dauerschleife. CBS laserte sogar Werbung auf 35 Millionen – Hühnereier. Nichts scheint mehr unmöglich im Kampf um die Zuschauer.

Und dieser Kampf ist längst nicht vorüber. Im September wird die nächste Stufe gezündet: Einige der Sender kooperieren mit einer Fluggesellschaft, auf deren Flügen nun einzelne Episoden der neuen Formate noch vor Ausstrahlungstermin abgerufen werden können. CBS zum Beispiel macht’s mit American Airlines, Fox mit Jet Blue. Schon längst hat das Gerangel der Online-Dienste eingesetzt, um so früh wie möglich so viele Serien wie möglich als digitale Previews zeigen zu können. MSN hat den Zuschlag des neuen Network-Zusammenschlusses CW bekommen, und Yahoo arbeitet gleich mit drei der großen Sender-Konglomerate zusammen.

Besonders freuen können sich Kunden von American Express, denen FOX seine Serien online schon früher zeigt. Damit nicht genug, bietet CBS den 125.000 Pendlern in der New Yorker Grand Central Station Werbe-Clips für Handys über Bluetooth-Verbindung an. FOX und NBC veröffentlichen zudem Ausschnitte ihrer neuen Serien auf YouTube.Com, einer Internet-Plattform, auf der jedermann seine (oder fremde) Videos präsentieren kann. So findet sich dort auch die komplette Pilotfolge von „Jericho“, einer CBS-Serie.

Und obwohl in diesem Fall nicht CBS dahinter steckt, sondern ein Privatnutzer unter Missachtung des Urheberrechts: Ausgewählte Episoden in voller Länge vor dem eigentlichen Sendestart auf anderen Plattformen zu zeigen, ist mittlerweile ein probates Marketinginstrument.

Hierfür arbeiten alle großen Networks neuerdings auch mit einem ungewöhnlichen Partner zusammen: einem Museum. Schließlich, so die Argumentation, könnten die heutigen Quotenhits schon bald Meilensteine der Fernsehgeschichte sein. Bis Mitte September werden im Museum of Television & Radio in New York und Los Angeles Episoden von insgesamt 22 neuen Serien ihre Premiere feiern. Das Motto der Veranstaltungsreihe: „In the Prime“, eine „Feier erstklassiger Fernsehproduktionen“, so Museumssprecherin Terry Smith. Über ähnliche Veranstaltungen wird auch im Berliner Fernsehmuseum nachgedacht. Das Konzept ist relativ simpel: Das Museum vergibt kostenlose Tickets, die Sender liefern das Vorführmaterial, und nach einer kurzen Einführung wird eine Pilotfolge nach der anderen gezeigt. Das sonst für die Arbeit des Museums so typische diskursive Angebot fehlt hierbei aber völlig: keine Fragerunde, kein Feedback. „Darauf kommt es uns auch gar nicht an“, sagt Marcy Ross, stellvertretende Leiterin des aktuellen Programmbetriebs bei FOX. „Wir bieten dem Zuschauer mit den Vorführungen nur eine weitere Möglichkeit, unsere Sendungen kennen zu lernen.“ Geändert werden könne dann ja sowieso nichts mehr.