„ESTONIA“-UNTERGANG: SCHWEDEN MUSS DIE KARTEN AUF DEN TISCH LEGEN
: Klarheit statt Verschwörungstheorien

Der 11. September und der Untergang der „Estonia“ haben etwas gemeinsam: Um beide Ereignisse rankt sich eine Vielzahl von Verschwörungstheorien. Wobei sich für die Toten in der Ostsee vor 12 Jahren mittlerweile kaum noch jemand interessiert, denn sie starben in aller Stille, ohne spektakuläre Fernsehbilder. Und: Die Ursache des Untergangs der „Estonia“ schien doch festzustehen.

Nun aber gibt es Informationen, die die Todesstille stören könnten. Schon vor zwei Jahren stellte sich heraus, dass mit der „Estonia“ im Auftrag des schwedischen Militärgeheimdienstes Waffen geschmuggelt wurden. Jetzt wurden zudem offenbar unter absoluter Geheimhaltung vorgenommene militärische Tauchaktionen öffentlich, bei denen man sich brennend für die Ladung im Wrack interessierte. Bestätigen die nun in Gang gekommenen Ermittlungen diese Aktivitäten, hat man in Stockholm einiges zu erklären – vor allem, weshalb Schweden nicht schon lange alle Karten auf den Tisch gelegt hat, sondern Informationen nur unter Druck und häppchenweise herausrückte.

Natürlich hätte es das Verhältnis zu Moskau schwer belastet, wäre 1994 bekannt geworden, dass westliche Geheimdienste im Abzugschaos der Roten Armee aus den gerade selbständig gewordenen baltischen Staaten sich dort umfassend geheime hochtechnologische Waffen organisierten. Dass für deren Transport eine Passagierfähre missbraucht wurde hätte ebenfalls unbequeme Fragen aufgeworfen. Aber: Mehr als historisches Interesse weckt all das heute nicht mehr.

Die damalige politische Situation in Stockholm war kompliziert: Eine konservative Regierung war noch im Amt, doch schon wenige Tage später übernahmen die Sozialdemokraten. Mag sein, dass man damals ein Schweigeabkommen schloss. Es ging ja um die nationale Sicherheit. Mag sein, dass all diese Waffen- und Tauchgeschichten mit dem Schiffsuntergang gar nichts zu tun haben. Aber: Um den Verschwörungstheorien den Boden zu entziehen sollte eine unabhängige international besetzte Untersuchungskommission den Sachverhalt klären. REINHARD WOLFF