„Lobby mit Verbindungen“

Bärbel Höhn wehrt sich: Als NRW-Umweltministerin habe sie gegen Bioabfallverordnung gekämpft und vor Chemie im Wasser gewarnt. Eine „Wasserlobby“ habe Kontrollen verhindert

INTERVIEW MIRIAM BUNJES

taz: Frau Höhn, überrascht Sie der PFT-Skandal, Frau Höhn?

Bärbel Höhn: Dass es um PFT geht, überrascht mich. Aber dass gefährliche Chemikalien in der Ruhr gefunden werden, das war abzusehen. Und wenn sich an dem Problem nichts ändert, werden sich auch weiter Chemikalien finden.

Umweltwissenschaftler halten die Bioabfallverordnung für das Problem, weil sie auch Klärschlämme als Bioabfälle deklariert. Eigentlich sei das aber ganz übler Chemieabfall.

Deshalb ist es sinnvoll, die Bioabfallverordnung – die übrigens von der damaligen Bundesumweltministerin Angela Merkel ist, und nicht von rot-grün – zu ändern. Und nicht nur die: Die Klärschlamm-, die Düngemittel- und die Biomasseverordnung beschäftigen sich mit ähnlichen problematischen Stoffen. Sie brauchen gemeinsame Grenzwerte, damit nicht mit ihnen jongliert werden kann.

Sind diese Gesetze die Ursache für den PFT-Skandal?

Nein. Die bisherigen Ermittlungsergebnisse zeigen, dass hier jemand kriminell Industrieabfälle entsorgt hat. Das ist auch nach den bisherigen Verordnungen verboten. Trotzdem können wegen der Gesetze gefährliche Gifte ins Trinkwasser gelangen.

„Die Gefahr war seit Jahren bekannt, da ist nichts passiert“, sagt Ihr Parteikollege Friedrich Ostendorff. Matthias Schulte-Huermann, ein Grüner aus vom Skandal betroffenem Hochsauerlandkreis, hat Sie sogar wegen Vergiftung des Trinkwassers angezeigt. Sie sollen nicht genug kontrolliert haben, was als Dünger auf die Felder kommt.

Das wundert mich sehr. Herr Ostendorff war für diesen Themenbereich im Bundestag verantwortlich. Er muss wissen, was wir alles gemacht haben. Herr Schulte-Huermann ist ehrenamtlicher Politiker. Vielleicht hat er einiges nicht mitgekriegt.

Was haben Sie denn gemacht? Die Verordnungen gibt es ja immerhin seit 1998.

Wir haben das Problem immer wieder auf den Umwelt- und Agrarministerkonferenzen angestoßen. Dabei sind wir am Anfang auf sehr wenig Resonanz gestoßen. Daraufhin haben wir die Stoffe im Ablauf von Klärwerken analysiert – als einzige in Europa. Dabei haben wir zum Beispiel Flammschutzmittel gefunden. Mit Pressekonferenzen haben wir immer wieder versucht, auf das Thema aufmerksam zu machen. Innerhalb der Bundesländer gibt es aber parteiunabhängig so unterschiedliche Interessen, dass wir uns mit unseren Forderungen nicht durchsetzen konnten.

Sie sind als Politikerin vor allem durch leidenschaftliches Kämpfen für Ihre Anliegen bekannt geworden. Mit diesem Thema nicht.

Ich habe auch für dieses Thema leidenschaftlich gekämpft. Immerhin war zentrales Thema im Landtagswahlkampf, dass die grüne Umweltministerin mit ihren Auflagen die Wasserwirtschaft so stark reglementiert, dass sie der gesamten Wirtschaft schadet. Die Medien hat das Thema an sich nicht interessiert. Die Pressekonferenzen dazu waren immer ausgesprochen schlecht besucht.

Und der Vorwurf, nicht genug kontrolliert zu haben? Sie hätten ja tatsächlich nach PFT suchen können.

Wir haben nicht nach PFT gesucht, weil wir nicht davon ausgegangen sind, dass ein Chemieunternehmen aus Belgien illegal genau diesen Stoff in NRW entsorgt. Mit den Flammschutzmitteln haben wir sogar eine ähnliche Stoffgruppe untersucht. Und schon dass wir dafür Geld ausgegeben haben, wurde scharf kritisiert. In Düsseldorf übrigens kontrollieren die Wasserwerke ihr Wasser selbst auf PFT. Hätten das die Wasserwerke an der Ruhr auch gemacht, wäre der Skandal viel früher aufgeflogen.

Hätten Sie sie nicht anweisen können?

Wie konnten wir darauf kommen, dass Kriminelle ausgerechnet PFT entsorgen? Wir sind aber davon ausgegangen: Auch ohne Kriminalität gibt es Probleme. Vor allem im Trinkwasser des Ruhrgebiets.

Wieso da?

Weil das Trinkwasser aus der Ruhr gewonnen wird und nicht wie sonst üblich aus Talsperren. Die Ruhr besteht in trockenen Sommern zu 40 Prozent aus Kläranlagenablauf. In den gelangen durch die schlechte Aufbereitung Gifte. Die Kläranlagen an der Ruhr arbeiten nämlich ausgesprochen schlecht. Viele schaffen es nicht einmal, wie von der EU vorgeschrieben, 75 Prozent des Stickstoffes zu reduzieren. Außerdem ist die Trinkwasseraufbereitung nicht auf dem neuesten Stand der Technik. Am Rhein hätte es den Skandal so nicht geben können. Auch das habe ich in meiner Amtszeit immer thematisiert, das wollte aber auch die SPD nicht hören.

Warum nicht?

Weil die Wasserlobby an der Ruhr sehr mächtig ist. Der Wasserverband ist zum Teil in kommunaler Hand – also politisch rot oder schwarz. Die Wasserlobby hat daher beste Verbindungen zur SPD und CDU. Außerdem geben sie viel Geld für gute PR aus. Wir haben gegen starke Widerstände in 2005 ein Landeswassergesetz durchgekämpft, in dem Wasserwerke gezwungen werden können, ihre Anlagen zu modernisieren. Es anzuwenden, ist jetzt Aufgabe meines Nachfolgers.