Mit Raum für die Zukunft

Für die „ReComposed“-Reihe der Deutschen Grammophon hat Jimi Tenor die Aufnahmen von Neutönern wie Edgar Varèse und Steve Reich bearbeitet. Morgen spielt er in der Deutschen Oper

VON TOBIAS RAPP

Richtig zufrieden kommt Jimi Tenor einem nicht vor. Es mag daran liegen, dass der späte Vormittag schlicht zu früh für ihn ist, um ein Interview zu führen – Tenor schaut einigemaßen trüb unter seinen blonden Haaren hervor. Vielleicht liegt es auch daran, dass er mit seinem Kopf längst bei anderen Projekten ist – die Platte, um die es hier gehen soll, ist schließlich seit fast zwei Jahren einigermaßen fertig. Sie kann aber erst jetzt erscheinen, weil es so lange gedauert hat, die Rechte zu klären.

Dabei gibt es keinen Grund zur Unzufriedenheit. Tenor hat für die „ReComposed“-Reihe von Universal Music, für die Elektronikproduzenten sich durch den Katalog der Deutschen Grammophon Gesellschaft remixen dürfen, einige Klassiker der Neuen Musik bearbeitet. „ReComposed“ ist eine wunderbare Platte geworden – sein Auftritt mit Mitgliedern des Orchesters der Deutschen Oper morgen Abend zum Auftakt der Popkomm verspricht interessant zu werden. Tenor wird mit seinen Synthesizern, seiner Flöte und seinem Saxofon improvisieren und das Orchester die Partituren einer Musik spielen, die Tenor mit gründlichen Wirbeln durch die Originale aus diesen entwickelt hat.

Die vergangenen Jahre waren nicht allzu gut zu ihm. In den Neunzigern war er einer der wenigen genuinen Stars der elektronischen Musik gewesen, eine Art europäischer Beck. Doch dann ließ ihn das Label Warp wegen künstlerischen Meinungsverschiedenheit fallen – und weil „Out Of Nowhere“ spektakulär floppte – ein ebenso großartiges wie aufwändiges Album, das Tenor mit einem polnischen Orchester eingespielt hatte. Der Nachfolger bei einem finnischen Label lief auch nicht besonders. Als Tenor das letzte Mal in Berlin spielte, kamen noch drei Dutzend Leute.

„ReComposed“ von Universal ist ebenfalls eine merkwürdige Reihe – ein weiterer Versuch, die Popsozialisierten durch eine ganz neue Idee an klassische Musik heranzuführen, „andere Hörerschichten“ nennt man das in Marketingabteilungen wohl. Die Yellow Lounge ist die dazugehörige Veranstaltungsreihe, in der auch Tenors Konzert in der Deutschen Oper stattfindet. Die erste Folge, für die der Hamburger Musiker und Hiphop-Produzent Matthias Arfmann Smetana, Schubert und Wagner bearbeitete, war eine mittlere Katastrophe. Bei Jimi Tenor funktioniert das Konzept.

Was zum einen an der Musik liegen dürfte, die Tenor sich ausgesucht hat – Steve Reich, Esa-Pekka Salonen, Pierre Boulez, Erik Satie und Edgar Varèse. Keine Aufnahmen aus Klassik oder Romantik, sondern klassische Neutöner. „Ich wollte moderne Musik haben“, sagt er. „Nichts Altes, das ist zu vollgepackt. Es sollte Platz haben. Damit meine Melodien hineinpassen.“ Tatsächlich, ergänzt Tenor mit einem verschämten Lächeln, würde er sich auch von den Komponisten, die er ausgewählt hat, außer Varèse niemanden freiwillig zu Hause anhören.

Seine Bearbeitungen ihrer Stücke sind trotzdem ganz wunderbar. Zuallererst natürlich die beiden Varèse-Bearbeitungen. „Déserts“ aus den Fünfzigern war damals eines der ersten Stücke, für das manipulierte Tonbänder zum Einsatz kamen. Tenor bearbeitet es sehr sanft – er hat eine Aufnahme eingearbeitet, wie er sein Haus betritt und dann aufs Dach klettert. Ganz anders „Ionisation“ aus den frühen Dreißigern, damals eines der ersten Stücke, das versuchte, ein Schlagzeug nicht folkloristisch einzusetzen. Tenor verwandelt es in ein düster groovendes Elektromonster. Steve Reichs „Music For Mallet Instruments, Voices and Organ“ hat er einen Afrobeat-Bläsersatz verpasst.

Zum anderen hat Tenor in seinem Schaffen schon oft orchestral gedacht – wenn auch eher im Sinne eines Jazz- oder Disco-Orchesters. Und diese Sensibilität scheint auf „ReComposed“ in jedem Augenblick durch – Tenor weiß, was er tut, wenn er aus Pierre Boulez’ „Répons“ einen Gespensterfilm-Soundtrack macht.

Jimi Tenor: „ReComposed“ (Deutsche Grammphon/ Universal). Morgen Abend, 21 Uhr, in der Deutschen Oper: Jimi Tenor und Mitglieder des Orchesters der Deutschen Oper