Der Zoo der Zukunft

RICHTUNGSWECHSEL Tierpark und Zoo bekommen einen neuen Direktor: den Veterinärmediziner Andreas Knieriem. Der bisherige Leiter Bernhard Blaszkiewitz war umstritten, er stand für einen Zoo alter Schule. Nun fürchtet er um sein Erbe: Knieriem soll neue Besucherschichten anlocken, die Tiergärten modernisieren. Aber kann er das? Und was heißt eigentlich „modern“?

taz: Wo gehst du lieber hin, in den Zoo oder in den Tierpark?

Paula: Zoo. Beim Tierpark muss man immer so weit fahren. Da muss man auch so lange laufen, bis man Tiere sieht.

Was war dein schönstes Erlebnis?

Als wir im Tierpark mit der kleinen Eisenbahn auf einen Berg gefahren sind, da ist die Eisenbahn ganz schnell den Berg runtergefahren. Das war so schön, und dann auf der Straße noch schneller.

Welches Tier magst du am liebsten?

Die Affen, weil die so schön klettern können. Da kann man immer so lange zugucken, und man sieht auch manchmal, wie die essen.

Gibt es etwas, was du gar nicht magst?

Dass es da nicht so Eis mit Kugeln und Streuseln in der Waffel gibt, nur am Stiel.

Könnte man Zoos abschaffen?

Nein. Weil man dann nicht mehr die Tiere anschauen kann.

Welches Tier wärst du gern?

Ein Affe.

VON PLUTONIA PLARRE

Es lebte einmal ein Australischer Lungenfisch (Neoceratodus forsteri) im Aquarium des Berliner Zoos. Lungenfische können mit Kiemen und Lunge atmen. Der olivbraune Fisch, der eine Körperlänge von einem Meter hat, lag den ganzen Tag auf dem Grund seines Aquariums. Ab und an stieg er zum Luftholen nach oben. Dann glitt er wieder hinab auf den Sandboden seines Beckens, das doppelt so groß war wie eine Badewanne, und rührte sich nicht. „Der Arme hat gar keinen Platz“, sagten die Besucher, wenn sie vor der Scheibe standen. Irgendwann konnte der Direktor des Aquariums die Klagen nicht mehr hören. Der Lungenfisch bekam ein Becken mit 5.000 Liter Wasser darin, ganz für sich allein.

Ausgehend von den Bedürfnissen des Lungenfisches, hätte das kleine Becken gereicht, sagt der Biologe und frühere Zoo- und Aquariumsdirektor Jürgen Lange. Aber so sei es nun mal. Besucher und Tier stünden im Zoo gleichermaßen im Zentrum. Der Besucher sei der Zahlende. „Wenn der das Gefühl hat, das Tier ist eingesperrt und es fühlt sich nicht wohl, geht er nicht mehr hin.“ Die Zoos müssten Zugeständnisse machen, bestätigt auch der Geschäftsführer des Verbands der Zoodirektoren (VDZ), Peter Dollinger – auch wider besseres Wissen. Die Gitterstäbe in den Affenkäfigen seien so ein Bespiel: Viele Zoos hätten sie durch Glasscheiben ersetzt, obwohl die Affen gern an den Stäben herumklettern. „Das Publikum hat mit dem Gitter immer Gefängnis verbunden.“

Jürgen Lange, der die Geschichte vom Lungenfisch erzählt, war fünf Jahre Direktor des Berliner Zoos, das Aquarium hat er 30 Jahre geleitet. Als er 2007 in den Ruhestand ging, kam Bernhard Blaszkiewitz ans Ruder, der da schon seit 1991 Chef des Tierparks im Ostteil der Stadt war. Mit Blaszkiewitz wurden die beiden bis dahin getrennten Hauptstadtzoos in Personalunion zusammengeführt.

Jetzt steht wieder ein Wechsel an der Spitze an: Am 31. März hat der 60-jährige Blaszkiewitz seinen letzten Arbeitstag. Nachfolger wird der 48 Jahre alte Veterinärmediziner Andreas Knieriem, der bis dato den Münchner Zoo Hellabrunn geleitet hat (siehe Interview).

Blaszkiewitz steht für den Zoochef des Typs alte Schule: Er ist ein klassischer Wissenschaftler und Zoofachmann.

Leute sollen die Natur betrachten“, findet er. „Keine Elektronik, keine Apps, kein Halligalli und all dieser Kokolores.“

Nun allerdings geht es darum, Zoo und Tierpark ins 21. Jahrhundert zu führen und als moderne Tiergärten zu präsentieren, sagt der Vorsitzende des Fördervereins der beiden Hauptstadtzoos, Thomas Ziolko. Gerade der Tierpark habe „großes Potenzial“. Berlin, so verlautet auch aus Zoo-Aufsichtsrats-Kreisen, brauche einen sozial kompetenten Zoodirektor, der eine moderne Philosophie von Tierhaltung verkörpere und neue Besucherschichten anlocke.

Die Frage ist nur: Kann Knieriem das? Und: Was bedeutet eigentlich „modern“? Quo vadis, Zoo?

Der Zoologische Garten, gegründet 1844, ist Deutschlands ältester Zoo. Das 34 Hektar große Areal mitten in der Innenstadt ist für seine große Vielfalt von Tieren und die historischen Gebäude berühmt. Der 1955 in Friedrichsfelde eröffnete Tierpark andererseits ist mit 160 Hektar der flächenmäßig größte Zoo der Bundesrepublik. Mit 20.000 Tieren in 1.500 Arten und Formen sind Tierpark, Zoo und das benachbarte Aquarium der artenreichste Tiergarten der Welt, der pro Jahr mehr als 4 Millionen Besucher zählt.

Bernhard Blaszkiewitz hätte seinen Vertrag gern über 2014 hinaus verlängert, aber der Aufsichtsrat des Zoos wollte das nicht: Nie zuvor war der Leiter eines Tierparks wegen seines Führungsstils so umstritten, bezog so viel Prügel von den Medien, die ihn als autoritären Grobian bezeichneten.

taz: Wo gehst du lieber hin, in den Zoo oder in den Tierpark?

Zoo. Der ist auch viel näher für uns.

Was war dein schönstes Erlebnis dort?

Bei schlechtem Wetter ins Aquarium zu gehen, mit meiner Cousine und meiner Schwester. Am besten haben mir die Frösche gefallen.

Welches Tier magst du am liebsten?

Den Löwen, weil das mein Sternzeichen ist.

Gibt es etwas, was du gar nicht magst?

Nein, ich finde alles toll am Zoo.

Könnte man den Zoo abschaffen?

Auf keinen Fall. Wo sollen die Kinder denn dann sonst hingehen, um Tiere zu sehen?

Welches Tier wärst du gern?

Löwe. Weil er cool ist und stark.

Der in Berlin geborene Blaszkiewitz hat die meiste Zeit seines Lebens in Zoo und Tierpark gearbeitet. Seine Berufsauffassung ist vom historischen Denken des Sammelns von Tieren geprägt, wie es auch seine Vorgänger praktizierten. „Was hier entstanden ist, ist nicht nur mein Werk“, gibt sich Blaszkiewitz allerdings bescheiden, wenn er über den Artenreichtum des Zoos spricht. Wenn andere Tiergärten eine Zebraart haben, hat der Zoo drei. Sein Programm sei immer gewesen, mehrere Tiere aus einer Verwandtschaft zu zeigen, sagt Blaszkiewitz – systematisch präsentiert, damit der Besucher vergleichen kann.

Dem VDZ, zu dem auch Berliner Zoo und Tiergarten zählen, gehören 51 deutsche Zoos an. Die Mitglieder haben sich verpflichtet, Tiergärten als naturkundliche Bildungs- und Forschungsstätten unter dem Gesichtspunkt von Arten- und Naturschutz zu betreiben und die Tiere tiergerecht zu halten. In der Praxis drücke sich das so aus, dass die Gehege in den VDZ-Zoos größer seien, als es das Bundesministerium für Landwirtschaft in seinen Mindestanforderungen an die Haltung von Wildtieren empfehle, sagt VDZ-Geschäftsführer Peter Dollinger.

Dollinger attestiert dem Zoo auch einen „exzellenten Tierbestand“: Blaszkiewitz sei es gelungen „extreme Raritäten“ nach Berlin zu holen, den Sumatratiger etwa, die Giraffengazellen oder die östlichen Bergkängurus. Im Dezember 2012 umfasste das Europäische Zuchtbuch für die Rotscheitelmangabe, einen Affen, 90 lebende Tiere. Davon waren 18 Nachzuchten des Tierparks Berlin, 17 weitere waren die Nachkommen von Vätern, die im Tierpark Berlin geboren worden waren.

Für das europäische Erhaltungszuchtprogramm sei der Hauptstadtzoo ein zentraler Pfeiler. Mit dem Austausch der Nachzuchten werde für genetische Vielfalt gesorgt, sagt Blaszkiewitz: „Aus freier Wildbahn kommt ja nicht mehr so viel.“ Blaszkiewitz’ Befürchtung ist nun jedoch, dass sein Nachfolger diesen Artenreichtum antasten könnte. Und diese Sorge kommt nicht von ungefähr.

Während sich der Zoo selbst trägt, muss der Tierpark jährlich mit 6,2 Millionen Euro vom Land Berlin subventioniert werden. Der politische Druck, mit innovativen Konzepten aus den Miesen zu kommen, ist immens. Forderungen wie die nach Einrichtung eines Erlebniszoos hat Blaszkiewitz dennoch immer zurückgewiesen. Stattdessen empfahl er, „es als Bereicherung und nicht als Belastung anzusehen, dass wir zwei Tiergärten haben“.

Und nun kommt Knieriem, Typ Manager, modern, kreativ. Er studierte an der Freien Universität Berlin Tiermedizin und arbeitete im Duisburger Zoo. Bevor er 2009 nach München ging, hat er bereits den Zoo Hannover zu einem Erlebniszoo umgestaltet.

Die Berliner Zoos müssten im Ranking wieder „Taktgeber“ werden, hat er bereits gesagt. Dass ein Zoo „mitten in der Stadt den größten Zootierbestand der Welt“ aufweise, könne man durchaus kritisch sehen: Die Frage sei nicht, wie viele Arten man hält, sondern wie man sie halte. „Ich will nicht ausschließen, dass wir uns von der einen oder anderen Art trennen“, sagte er.

Das Vorbild für einen modernen Zoo ist gemeinhin der Zoo Leipzig. In Berlin werden die Tiere derzeit weitestgehend nach Arten präsentiert: Raubtiere mit Raubtieren, Huftiere mit Huftieren, Primaten mit Primaten. In Leipzig dagegen wandelt der Mensch durch Kontinente und Themenwelten, die Afrika, Asien, Pongoland und Gondwanaland heißen und den natürlichen Lebensräumen der Tiere nachempfunden sind. Statt Beton, Stahl und Fliesen sieht der Besucher Savannen, Baumgruppen und Wasserläufe. Wenn er über seine Anlagen spricht, gerät der dortige Direktor Jörg Junhold richtig ins Schwärmen: „Nach Abschluss der Modernisierung werden wir einen Zoo der Zukunft haben.“

taz: Wo gehst du lieber hin, in den Zoo oder in den Tierpark?

Yannek: In den Tierpark, der ist größer.

Was war dein schönstes Erlebnis dort?

Dass wir Eis gegessen haben … nee, die vielen tollen Tiere.

Welches Tier magst du am liebsten?

Die Papageien. Die sind so schön bunt.

Gibt es etwas, was du gar nicht magst?

Dass die Tiere im Zoo eingesperrt sind. Das finde ich doof.

Könnte man den Zoo oder den Tierpark abschaffen?

Nein! Dann müssten alle Tiere, die dort wohnen, in ihre Heimatländer. Und wenn man sie sehen will, müsste man dorthin fahren. Dann könnten wir sie in Berlin nicht mehr sehen.

Welches Tier wärst du gern? Ein Affe. Weil die den Menschen am ähnlichsten sind.

Aber braucht ein Zoo der Zukunft nicht auch eine Mission? „Natürlich“, sagt Jürgen Lange. „Wir müssen den Besucher für den Umwelt- und Naturschutz sensibilisieren.“ Tierrechtsorganisationen haben die Forderung gestellt, in Zoos etwa keine Elefanten, Eisbären und Menschenaffen mehr zu halten. Einige Tiergärten in Großbritannien haben die Eisbären bereits abgeschafft. Falsch, sagt Jürgen Lange: Viele Tiere würde es ohne Zoos längst nicht mehr geben. „Auch für den Eisbären ist der Zoo auf Dauer die einzige Chance, zu überleben.“

Es gebe keine Denkverbote für neue Konzepte für den Berliner Zoo, sagt Thomas Ziolko vom Förderverein und listet auf: der Tierpark als Geo-Zoo, Modernisierung des 1936 erbauten Raubtierhauses, mehr spielerische Elemente, Einsatz von elektronischer Technik und auch Änderung des Wegeleitsystem und der Beschilderung an den Gehegen; direkten Kontakt zu den Tieren und Freiflugvolieren, in denen die Besucher die Vögel füttern dürfen, ein Streichelzoo nach Bauernhofprinzip mit einer Melkstation.

Leipzig hat in seinen Zoo eine dreistellige Millionensumme investiert, allein das Gondwanaland hat 67 Millionen Euro gekostet. Die Hauptstadt jedoch ist klamm. Der neue Direktor kann sich glücklich schätzen, dass Berlin eine einmalige Investitionssumme von 5 Millionen Euro bereits zugesagt hat. Wenn Knieriem mit schlüssigen Konzepten aufwarte, gebe Berlin bestimmt noch mehr, zeigt sich Ziolko allerdings optimistisch. Auch von Unternehmen und Privatleuten könnten deutlich mehr Sponsoren- und Spendengelder gesammelt werden. Und für die Übernahme von Tierpatenschaften könne auch weitaus mehr Werbung gemacht werden, als Blaszkiewitz es getan habe.

Knieriem, der Heilsbringer? „Der kann auch nur mit Wasser kochen“, dämpft Blaszkiewitz solche Erwartungen. „Es sei denn, irgendwo kommt Geld her. Ich glaube das nicht.“ Zoos gebe es seit 260 Jahren. Die Art der Präsentation habe sich gewandelt – aber am Grundprinzip, lebende Tiere für Menschen auszustellen, werde sich nichts ändern.

Der Neoceratodus forsteri ist übrigens nicht lange in seinem neuen Becken geblieben. „Der Arme“, klagten die Besucher weiterhin, obwohl das Bassin jetzt 5.000 Liter Wasser fasste. Also steckte ihn der Aquariumsdirektor in ein noch größeres Becken, ein Gemeinschaftsbecken. Aber dort wurde der arme Lungenfisch von den anderen Fischen so gequält, dass er wieder umziehen musste. Erst hinter den Kulissen des Aquariums fand er schließlich eine Heimat – und die Besucher waren zufrieden.