„Sie können fast alles“

taz-Serie Ethnische Ökonomie: Immer mehr Polen machen sich nach der Osterweiterung in Deutschland selbstständig. Interview mit Witold Kaminski vom Polnischen Sozialrat

taz: Herr Kaminski, die Zahl von Gewerbetreibenden polnischer Herkunft hat sich seit der EU-Osterweiterung mehr als verdoppelt. Wer macht sich in Deutschland selbstständig?

Witold Kaminski: Zum einen kommen Menschen, die hier etwas ausprobieren wollen. Sie haben unterschiedliche Qualifikationen, oft auch studiert. Die zweite Gruppe, dass sind die Verzweifelten, die sich in Polen nicht zurecht gefunden haben. Drittens sind es die vielen Illegalen, die längst hier gearbeitet haben und die sich jetzt legalisieren können. Und dann gibt es natürlich auch die Scheinselbstständigen, die mit falschen Versprechungen oder der Aussicht auf Kindergeld hierher gelockt wurden.

Welches Können bringen polnische Betriebe nach Deutschland?

Es kommen vor allem Handwerker, die aber noch über andere Fähigkeiten verfügen. Egal, was man in Polen gelernt oder studiert hat, man kann Wasserleitungen verlegen, Autos reparieren, Wände streichen. Diese Menschen sind gut ausgebildet und sehr flexibel. Sie können fast alles.

Polnische Billighandwerker haben allerdings oft den Ruf, schlechte Arbeitsqualität zu liefern.

Auf dem Markt setzt sich langfristig nur Qualität durch. Das gilt auch für polnische Betriebe. Selbstständige Polen hier in Deutschland sind durch die Legalisierung selbstbewusster geworden, die Preise sind gestiegen. Das ist positiv auch aus Sicht der deutschen Arbeitslosen, die befürchten, dass ihre Arbeitsplätze verloren gehen.

Dennoch werden polnische Arbeitskräfte von vielen deutschen Handwerksbetrieben als bedrohliche Konkurrenz angesehen.

Sie sind keine Konkurrenz, weil ihre Kunden nur für diese Angebote zugänglich sind. Ihre Kunden können sich keine deutschen Handwerker leisten. Deutsche Handwerksbetriebe sind zu teuer. In Berlin und in Brandenburg sind mindestens 80 Prozent der polnischen Selbstständigen im Baubereich tätig und das trägt zur Entwicklung der Region bei: Viele in Brandenburg können aus Kostengründen ihre Häuser nur mit Hilfe von polnischen Firmen sanieren. Das Haus würde – wären polnische Unternehmen nicht hier – eher verfallen als schöner gemacht werden.

Polen als Entwicklungshelfer für den deutschen Osten?

Nicht nur im Osten, sie sind überall in Deutschland, auch in den privaten Haushalten als Krankenpfleger und als Haushaltshilfen tätig. Eine deutsche Hilfe käme zu teuer. Das hat nichts damit zu tun, dass sich die Polen ausbeuten lassen, sie planen auch ihren Aufstieg.

Soziale Dienstleister sehen diese Konkurrenz nicht gerne.

Statt mit der Gewerbeaufsicht oder Polizei zu drohen, sollte man diese Kleinstunternehmen unterstützen – legalisieren statt kriminalisieren. Außerdem: Mit der Legalisierung sind diese Ein-Mann/Frau-Betriebe nicht mehr so schnell ausbeutbar und sie werden dadurch auch konfliktfähiger. Sie sind keine leichte Beute mehr.

Was kann man gegen den Missbrauch mit der Scheinselbstständigkeit unternehmen?

Es gibt kaum Instrumente und auch kaum Interesse daran, Scheinfirmen zu bekämpfen. Zudem: Wenn restriktive Maßnahmen ergriffen werden, dann wirken sie sich auch auf diejenigen aus, die diese Gesellschaft bereichern könnten.

Mein Vorschlag wäre, Beratungsstellen für diese Menschen einzurichten, damit sie mehr wissen und keine falschen Erwartungen haben. Außerdem: Kooperationen und ein Netzwerk mit den Gewerbeämtern. Denn es ist schade, dass diese Menschen oft nicht wissen, wie diese Gesellschaft, wie Recht und Ordnung, Behörden, Steuern und so weiter funktionieren. Sie müssen auch über ihre Pflichten und Rechte informiert werden.

INTERVIEW: EDITH KRESTA