Chemie à la carte

Perfluorierte Tenside, Medikamentenrückstände, Flammschutzmittel: Die Chemiefunde in NRWs Gewässern häufen sich. Umweltmediziner: „Wir können Gesundheitsgefahren kaum abschätzen“

VON MIRIAM BUNJES

Fisch aus dem Oberlauf der Möhne sollte man höchstens einmal in der Woche essen. Schwamm er durch den Unterlauf, vielleicht auch drei Mal. Fisch aus der Ruhr oder dem Baldeneysee sind auch sechsmal in der Woche noch o.K. – soweit die Ernährungsempfehlung von NRWs Umweltminister Eckhart Uhlenberg (CDU). In den Fischen wurden in der vergangenen Woche perfluorierte Tenside (PFT) gefunden und zwar in erheblichen Mengen. Der PFT-Wert in den Möhnesee-Fischen übersteigt mit 0,2 Mikrogramm PFT pro Gramm den Toleranzwert des Bundesinstituts für Risikobewertung um das Zehnfache.

„Es sind doch bestimmt 200.000 verschiedene Chemikalien im Umlauf“, sagt Gerhard Wiesmüller, Leiter der Umweltprobenbank in Münster. „Wer testet, wird auch fündig“. Was das für die Gesundheit der VerbraucherInnen bedeutet, weiß trotzdem niemand. Denn: „Die Datenlage zu Industriechemikalien ist so dünn, dass wir über die Risiken der meisten keine stichfesten Informationen haben.“

Das soll das verschärfte EU-Chemiegesetz ändern. Unternehmen müssen ab 2007 die Auswirkungen der von ihnen produzierten Chemikalien untersuchen und die Ergebnisse in einer Datenbank veröffentlichen. „Dann können wir auch bessere Risikobewertungen abliefern“, sagt Wiesmüller.

Und entsprechend können Lebensmittel- und Trinkwasserkontrolleure ihre Untersuchungs-Listen ergänzen. „Wir lassen alles kontrollieren, was uns als gesundheitsschädlich bekannt ist“, informiert die Trinkwasserkommission. Verbraucherschützern geht das EU-Gesetz nicht weit genug (siehe Interview). Es greift erst, wenn eine Firma mindestens 100 Tonnen einer Chemikalie pro Jahr produziert.

Auch PFT stand nicht auf der Liste der Kontrolleure. Den Stoff, der illegal auf Feldern im Hochsauerland entsorgt wurde, entdeckten Forscher des Bonner Hygieneinstituts bei einer bundesweiten Studie. Die gesundheitlichen Risiken sind unbekannt. „Das einzige, was wir wirklich sicher über PFT wissen, ist, dass es sich dauerhaft im Körper festsetzt“, sagt Wiesmüller. In Tierversuchen schädigte PFT die Leber und verursachte Krebs. „Die Dosierungen in solchen Versuchen sind aber viel höher als die Werte, die in NRW in Leitungswasser oder Fischen gefunden wurden“, so der Umweltmediziner. Schwangere und stillende Mütter werden in Arnsberg – „vorsichtshalber“, wie die Behörden betonen – mit kostenlosem Mineralwasser versorgt.

Im Leitungswasser wurde in den letzten Wochen aber nicht nur PFT entdeckt. Eine Studie der Fachzeitschrift „Der Feinschmecker“ entdeckte im Leitungswasser in Essen und in Dortmund Rückstände von Arzneimitteln und Röntgenkontrastmittel – der Wert ist sieben Mal höher als von der Trinkwasserkommission als „gesundheitlicher Orientierungswert“ angegeben. Solche Rückstände seien „völlig ungefährlich“, sagt Wolfgang Dott, Leiter des Instituts für Hygiene- und Umweltmedizin der Uni Aachen. „Bei einer Röntgenuntersuchung werden millionenfachhöhere Konzentrationen eingesetzt und auch das ruft keine Vergiftungen hervor.“ Leitungswasser in Großstädten habe eben schon mehrmals menschliche Nieren passiert. „Aktivkohle kann sie herausfiltern“, sagt Dott. „Der Wert sagt also am ehesten etwas über Qualität der Kläranlagen aus.“