Steile Thesen für neue Zielgruppen

AMSTERDAM Alain de Botton will Kunsttheorie in die Tat umsetzen

Kunstmuseen, so sagt der britisch-schweizerische Bestsellerautor Alain de Botton, sollten effizienter genutzt werden: als Orte, in denen wir etwas über uns selbst lernen können. Er findet, dass das Establishment der Kunstwelt keine Ahnung hat, was Kunst den Menschen bedeutet – oder bedeuten kann. Ins Museum zu gehen sei für viele eine verwirrende Sache: Sie warteten darauf, dass dort etwas Dramatisches passierte: „Die meisten von uns sind in der Gegenwart von Kunstpostkarten entspannter als in der Gegenwart von Originalkunstwerken.“

Unter dem Titel „Art as Therapy“-Kunst als Therapie, hat Alain de Botton ein populäres Buch geschrieben. Offenbar trifft er einen Nerv beim Publikum. Und weil das so ist und er Museumsleiter damit neugierig gemacht hat, will er jetzt die Theorie in die Praxis übersetzen. Ab April wird er im Rijksmuseum Amsterdam zeigen, wie Kunst uns sanft bei der Hand nehmen und froh machen kann. Im Rijksmuseum wird er neben mehr 150 im gesamten Haus verstreuten Kunstwerken seine Gedanken auf kleinen und großen Labels anbringen. Fünf Räume werden darüber hinaus mit Drucken bestückt, die er selbst aus der Sammlung ausgewählt hat.

Auf seiner Website, artastherapy.com, können sich Lebens- und Kunsthilfebedürftige bereits darauf einstimmen. Denn letztlich geht es ihm auch darum, Schwellenängste vor der Kultur abzubauen.

Dort steht eine kleine Liste von Lebensbereichen, die Probleme aufwerfen könnten, wie „Love“, „Self“ und „Politics“. Die Rubrik „Arbeit“ führt beispielsweise das Stichwort: „I can’t afford nice things“, sprich: Ich bin arm wie eine Kirchenmaus. Als Trost kann dabei laut de Botton die Betrachtung einer chinesischen Schale aus dem 12. Jahrhundert dienen. Sie lehre uns auch über die Schönheit des Schlichten nachzudenken. Abschließend bemerkt de Botton, ein Liebhaber freundlicher, aber steiler Thesen, dass Vermeer die Schale sicher auch gemocht hätte. Wer weiß: Vielleicht hätte er sich auch im Grab umgedreht. Das Rijksmuseum hegt jedenfalls die fromme Hoffnung, mithilfe des zugkräftigen Autors die Sammlung einem neuen Publikum zu erschließen, das dann auch die weniger frequentierten seiner 80 Räume erkunden möge. MARION DOUGLAS