BARBARA DRIBBUSCH über GERÜCHTE
: Und nun: die Mister-Mädchen!

Bei der Mister-Wahl zählen nicht mehr Armmuskeln, sondern der Flachbauch – ein Unterwerfungssignal der Männer?

Mein Kollege S. hat schon erklärt, dass er das „superspießig“ findet: Frauen, die gemeißelte, nackte Oberkörper, meist jüngeren Alters, bewundern. Bei der WM hatte es angefangen, als sich ansonsten fußballdesinteressierte Kolleginnen darüber unterhielten, wer denn nach Lupfen der Trikots den schöneren Bauch zeigte, Portugiesen oder Franzosen. „Iiiih“, hatte Kollege S. gesagt, „das ist ja so, als ob ihr die ‚Chippendales‘ gut fändet!“

Die „Chippendales“ sind hart arbeitende, muskulöse junge Männer aus den USA, die auf der Bühne strippen und auch in diesem Herbst tapfer durch Gersthofen, Fürth und Trier touren.

„Entblößung“, sagt Freundin Britt, „ist doch eigentlich ein Unterwerfungssignal. Ich meine, evolutionsbiologisch gesehen. Der, der schaut, hat die Macht.“ Wir stehen auf dem Hauptplatz des Ferienclubs Marina d’Oru auf Korsika. Es läuft eine Mister-Wahl. Der Platz ist gerammelt voll, die Stimmung unter den Gästen, darunter viele Familien, blendend.

Mir war zuvor schon aufgefallen, dass selbst die Animation im Ferienclub vor allem von knapp bekleideten jungen Männern bestritten wurde. Keine Bikinischönheiten turnten Aerobic oder Problemzonengymnastik vor. Stattdessen wiesen der durchtrainierte Paolo aus Brasilien und Jean-Luc aus Nizza Mütter und Töchter in die ersten Schritte des Salsa ein.

„Ich würde als Clubbetreiber auch Männer engagieren“, hatte Britt gesagt, „aus ökonomischen Gründen. Die Frauen entscheiden in den Familien über das Reiseziel. Die wollen keine knackigen Tänzerinnen mit Flachbauch, die ihnen Minderwertigkeitsgefühle einjagen.“ „Aber warum sind die Ehemänner dann nicht eifersüchtig?“, hatte ich gefragt. „Weil Paolo oder sonst wer nicht als Konkurrenz empfunden wird. Männer, die mit ihrem Hintern wackeln, stehen in den Augen anderer Männer auf der sozialen Leiter nicht gerade oben.“ Britt ist manchmal so nüchtern.

„Und nun: die fabulöse Nummer 8, Guido!“, brüllt Animateur Jean-Luc ins Mikrofon. Guido wird von einem Mädchen in neutralem Sportdress auf den Laufsteg geleitet. Bei den Kandidaten handelt es sich um junge Feriengäste. Sie haben den ersten Durchlauf in Jeans und Hemden hinter sich und laufen nun in Badehosen über den Laufsteg. Alle starren auf die fettarmen Bauchsegmente der Männer, die kaum über 25 sind. Die Teenies grölen.

„Hey, der hat ein Sixpack“, sagt ein Mädchen bewundernd, als die Nummer 9, Alexandre, mit gerippten Bauchmuskeln den Laufsteg betritt. Das Publikum applaudiert. Keiner der Kandidaten spannt die Arm- oder Beinmuskeln an und posiert in Bodybuilder-Manier der 80er-Jahre. Die Jungs ziehen nur den Bauch ein und schauen eher schüchtern. Fast wie Mädchen.

„Ich finde, der ist ganz schön dünn“, sage ich, als Alexandre über den Laufsteg entschwindet. Ein kühler Abendwind hat eingesetzt. Dass sich die Jungs nicht erkälten! Ich registriere einen Anflug von Mütterlichkeit. Ich kriege den Schalter nicht so einfach umgelegt von beschützendem Mutterinstinkt zu irgendwelchen erotischen Gefühlen, wenn junge Männer wohl zum ersten Mal in ihrem Leben halbnackt auf einem Laufsteg vor mir herumgehen.

„Dass nur noch der Bauch zählt, ist Jugendvergötterung, die Suche nach der Unverbrauchtheit“, meint Britt. Soeben ist Luigi hinter die Bühne verschwunden. Auch er hat die Armmuskeln nicht angespannt, aber dafür beim Abgang den Hintern geschwungen. Die Teenies im Publikum lachen sich kaputt. Am Ende gewinnt Alexandre.

Mir fällt ein, was ich neulich auf der Homepage der „Chippendales“ gelesen habe, wo Männer mit nacktem Oberkörper und einer Fliege um den Hals posieren. „Kevin“ berichtete, wie er zum Männer-Strip gekommen war: „Nachdem meine Mutter die Show gesehen hatte, brachte sie mir die Bewerbungsunterlagen mit.“ Die Mutter! „Ist das nun ein Fortschritt für die Frauen?“, fragt mich Britt, nachdem der letzte Mann von der Bühne gegangen ist. Ich antworte nicht. Im Urlaub dürfen Fragen auch mal offenbleiben.

Fragen zum Flachbauch? kolumne@taz.de Morgen: Martin Unfried über ÖKOSEX