piwik no script img

MessegeländeAuf dem TriebpfadAuf der richtigen Seite der 45

Fünf Autoren auf Spurensuche nach dem ganz großen Popkomm-Feeling

Nach dem ersten Satz hat man sofort wieder seine heisere Gesangsstimme im Ohr, als wäre sie in den letzten 30 Jahren nie weg gewesen. Aber Feargal Sharkey, charmant-irisch gealterter Ex-Undertones- und Solo-Sänger, erwähnt seine Vergangenheit als bahnbrechender Britpunk bei der Auftaktveranstaltung zur Popkomm nur ganz kurz: Es hätten sich im letzten Jahr eine Million UK-BewohnerInnen Gitarren gekauft, sagt er, und er möge die Vorstellung, dass die jetzt alle versuchen, „Teenage Kicks“ zu lernen.

Ansonsten ist er rührend, leidenschaftlich, zahlensicher (er muss bei den zitierten Ziffern nicht ein einziges Mal spicken) und natürlich extrem streetsmart. Er pocht in seinem sanften, heiseren, am Ende des Satzes oft wieder hinaufgehenden Iren-Singsang unaufhörlich auf das „unerschöpfliche kreative Potenzial“ der InselbewohnerInnen und seinen Wunsch, möglichst an jeder Milchkanne mit Guinness-Ausschank Live-Musik möglich zu machen.

In Anzug und Bürstenschnitt wirkt er cooler als manche ollen Kollegen, die nie von der Bühne runterwollten: Immerhin macht seine Ex-Band momentan ohne ihn auf Revival. Beim Berlin-Festival im letzten Jahr waren sie gar nicht mal so schlecht. Aber Feargie ist seinem Grundsatz treu geblieben, nicht „irgendwann mit beginnender Glatze und Pferdeschwanz auf der falschen Seite der 45 aufzuwachen“ – und reist lieber als Chairman des seriösen, regierungsnahen britischen „Live Music Forum“ in Sachen „Creative Industries“ herum.

Wenn man ihm so zuhört, möchte man fast meinen, dass Talent, Energie und Kreativität tatsächlich die drei tragenden Säulen des Popbusiness sind. Und dass erst ganz am Ende der Liste irgendwo Beziehungen, Marketing und Finanzierung stehen. Reizend, woran diese katholischen Iren immer so glauben können! JENNI ZYLKA

Kulturbrauerei

Verlorene Schuhseelen

Jemand hat Hedi mal erzählt, dass Finnen ein Messer im Stiefel tragen. Hedi stellt sich Finnland so vor: Stille, bärtige Männer besaufen sich in Kaurismäki-Settings, während depressive Rentiere Tango tanzen. Kulturelle Stereotypen sind meist ungerecht, doch weisen sie den Ahnungslosen einen Weg durch die weite Welt – wenn auch oft den falschen. Hedi geht zur „Finnish Rock Night“ der Popkomm, um unbekannte Musik zu hören und um dem Stiefel-Rätsel auf den Grund zu gehen.

In der Kulturbrauerei steht Brightboy auf der Bühne. Das Quintett aus Helsinki spielt eleganten, kommerziellen Pop. Der geht zwischendurch mit leichten Reggae-Elementen fremd und ist mit standardisiertem 80er Retrosound verheiratet. Den jungen Männern auf der Bühne fehlt die Skurrilität der Leningrad Cowboys: Sie sind coole, dandyeske Kosmopoliten. Der wachshäutige Leadsinger Antti trägt Krawatte, Röhrchenjeans und flache Schuhe. Hedi mag die Musik von Brightboy, aber sie ist etwas enttäuscht. In diese Röhrchenhose passt kein Messer. Und das zurückhaltende Publikum? Ist es finnisch? Wohl eher deutsch. Hedi kriecht einen kurzen Moment auf allen vieren durch den Raum, um die Messerfrage zu klären. Brightboy singt: „Wear out the soul of your dancing shoe“. Ob sie anstelle der Messer verlorene Schuhseelen findet? Später erklärt ihr der Manager von Brightboy: „Ein Messer tragen nur die West Coast People.“ Hedi: „Aha, ein finnisches Hiphop-Ding?“ Manager: „Nein, die Westcoastler sind eher ländliche Typen. Sie gehen in die Kneipe, stecken das Messer in den Tresen und bestellen einen Schnaps.“ Hedi ist hocherfreut.

Sie rundet den Abend beim solid-seichten Pop Pearls Showcase ab, lauscht einer bezaubernd schwebenden Stimme – die der Schweizer Band Lunik. Auch weil sie liebt, was sie kennt.

ARIANE VON GRAFFENRIED

Babylon Mitte

Finger in der Nische

Im Babylon wird der Film „Mannheimer Schule – Wie Popmusik entsteht“ gezeigt. Der Dokumentarfilm von Frank Breidert und Nina Werth porträtiert die am 1. April 2003 in Mannheim gegründete Popakademie. Sie ist die einzige Einrichtung hierzulande, auf der man einen staatlich anerkannten Abschluss in Popmusik machen kann, und wird unter anderem von BASF gepowert. Die weiß: „Die Zukunft rockt“. Die angebotenen Fächer heißen Musikbusiness und Popmusikdesign. 700 Interessenten kämpften um 55 Studienanfängerplätze.

Um acht soll die Projektion beginnen. Kurz nach acht sind zwölf Zuschauer im großen Kinosaal des Babylon. Für die Presse gibt es Extraplätze. Von weiter weg hört man Gesprächsmurmeln. Ab und an auch Klatschen. Auf der Galerie des Babylons neigt sich ein Empfang der Popakademie dem Ende zu. Während man sich spaßeshalber ärgert, dass man diesen Empfang übersehen hat, füllt sich der Saal. Sogleich spricht der Professor Udo Dahmen, der Direktor der Popakademie, einleitende Worte. Dann singt die Popakademiestudentin Denise Modjallal mehrere gefühlvolle Lieder mit Klavierbegleitung.

Der Film erzählt vom ersten Popakademiejahrgang. Er beginnt mit der Aufnahmeprüfung und endet mit dem Auszug der Helden. Im Zentrum stehen vier genre- und typenmäßig unterschiedliche Charaktere. Man erfährt, wie’s bei ihnen studienmäßig lief; ihr Alltagsleben bleibt draußen. Manchmal sagt der Popdozent Xavier Naidoo Sachen. Sein Gesangsstil beeinflusste viele Studenten. Ob das wohl gut ist? Ein anderer Dozent weiß: „Authentizität ist dein Kapital.“ Als der Augsburger Freestylerapper Deniz Khan sagt: „Steck deinen Finger in die kommende Nische und rieche dann dran“, lachen viele. Später fliegt er von der Schule. In Bayern soll nun auch eine Popakademie entstehen. DETLEF KUHLBRODT

Maria

Tracks für die Matratzenwelt

Am Anfang gab es nur das müde Schwappen der Spree und die traurige Musik Bill Callahans aus der Konserve. Dumm, wenn man zu früh ist. Voll wurde es aber auch später nicht in der Maria, in die das Berliner Label Monika die Gäste von Domino aus England geladen hatte. Stimmung wollte auch nicht recht aufkommen, was nur zum Teil an den Künstlern lag. Milenasong, neue Hoffnung bei Monika, dämpfte mit ihrer sentimentalen Schichtmusik gleich die Erwartungen. Ein leicht unglücklicher Auftritt, den sie nahezu komplett in der Hocke absolvierte. Auch hat man Trackbasteln mit Loop-Pedal schon zu oft erlebt, obwohl die Stücke der jungen Berlinerin durchaus Wirkung entfalteten. Vielleicht wäre ein rarerer Einsatz der schönen Wörtchen „you“ und „love“ wünschenswert.

Der nachfolgende Adem bot etwas mehr, immerhin hatte er gleich drei Instrumente dabei, neben seiner Akustikklampfe eine Ukulele und eine Pump-Orgel. Auch seiner Musik mochte man allerdings lieber an einem knisternden Kamin lauschen als in der immer etwas kühlen Maria. Schlecht war’s aber nicht. Hätte man sich bis jetzt ganz also gut einen bestuhlten, intimeren Ort vorstellen können, kreierten Dictaphone schnell den Wunsch nach einer Matratzenwelt. Ihre trägen, somnambulen Tracks und der Einsatz gefährlicher Blasinstrumente (Saxofon, Klarinette) konnten einem schnell den Rest geben. Das Publikum blieb reserviert, das war wohl die typische Popkomm-Stimmung, junge Geschäftsleute mit enormem Gesprächsbedarf, die sich noch einen Stagetermin abholten, bevor es zurück ins klamme Hotelzimmer ging. So wirkte es an diesem Mittwochabend. Schade besonders für Psapp. Die boten mit allerlei Spielzeuginstrumenten, vertrackten Beats und enormer Bühnenpräsenz den verspielten Spaß, den man von ihnen erwarten durfte. Hoffentlich bald wieder. RENÉ HAMANN

Lido

Parade der Popisten

Das Problem des Pop-Gesellschaftsreporters ist, dass er die eigene Gesellschaft am besten kennt, die des Pop. Dass er also nicht sagen kann, was sich so für Filmsternchen, Serienhelden und Literaturbetriebsgroupies am Mittwochabend bei The Rapture im Lido tummelten. Dafür weiß er, dass sich die eigene Gesellschaft an diesem Abend fast geschlossen einfand, die Chefredakteure von Spex und Groove etwa oder die für die wichtigsten Pop-Feuilletons der Republik zuständigen Redakteure, die Betreiber des Lido (die diesen Abend nicht Veranstalter waren), der Betreiber des Central-Kinos, ehemalige WMF-Resident-DJs, Mitglieder von Berliner Bands wie Surrogat und den Cockbirds.

Das Problem von The Rapture wiederum ist, dass so ein hohes Popisten-Aufkommen nicht unbedingt das beste Zeichen für ihr Standing ist – sie sind nach einem ebenfalls unter hohem Popgesellschaftsdruck stehenden Konzert vor drei Jahren im Knaack das zweite Mal in Berlin, sie stellen ihr aktuelles, inzwischen drittes Album vor, und sie werden immer noch als unheimlich hot gehandelt. Das aber hat in ihrem Fall etwas Schales. Nach einem veritablen Welt-Hit wie „House of Jealous Lovers“ hätte man erwarten können, dass das Popisten-Aufkommen kleiner ist, der Gesellschaftsreporter fast niemand mehr kennt und The Rapture nicht das Lido, sondern die Columbiahalle bespielen und wenigstens zu zwei Dritteln füllen. So ist dann auch das Konzert: okay, aber nicht weltbewegend; die Highlights stammen vom Vorgänger des aktuellen Albums, der Nachhall hat was von Robert Smith und PIL, nur hatte man all das eben schon einmal. Insofern verwundert es nicht, dass der Gesellschaftsreporter die Ablagen über den Urinals des Lidos am eindrücklichsten an diesem Abend fand: Dort konnte man nämlich wirklich gut und bequem sein Beck’s-Fläschchen abstellen. GERRIT BARTELS

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen