: Alte deutsche Schlager
VINYL Berlin ist cooler als New York, Berlin ist Forum Köpenick. Erfahrungen von einer Plattenbörse
Vor ein paar Wochen brachte die New York Times einen Artikel über eine Plattenbörse in Brooklyn. Zu lesen war dort, dass die Zahl der Vinylsammler ganz klar ansteigen würde und dass Vinyl wieder eine so große Sache sei, wie seit 20 Jahren nicht mehr. Dazu gab es ein Foto, das junge Hipster beim Kramen in Plattenkisten zeigt, und ein DJ wurde zitiert, der nach Platten der angesagten Technolabels Kompakt und Minus fahnden würde.
Berlin ist ja längst cooler als New York. Sagen die Berliner. Aber was die Plattenbörsen angeht, kann Berlin vielleicht doch noch etwas lernen. Dieses Wochenende war mal wieder so eine Plattenbörse, die „Schallplatten & CD Sammlertage“. Drei Tage lang. Im Forum Köpenick, einem Einkaufszentrum in Köpenick, wo man von frischem Obst bis hin zu Windeln alles bekommt. Im Foyer der Mall hatten ein paar Plattenhändler ihre Stände aufgebaut, drei Tage lang waren sie den ständigen Durchsagen von irgendwelchen Angeboten ausgesetzt, die den regulären Besuchern der Mall galten. Ein wenig komisch war es schon, in dieser Atmosphäre sich im Fach „Free Jazz“ durch alte Vinylplatten zu wühlen, während die Köpenicker ihre Wochenendeinkäufe erledigten.
Vinyl ist ja tatsächlich wieder angesagt, zumindest ist es nicht mehr ganz so tot. Vom Comeback der „guten alten Schallplatte“ hat selbst die BZ erst vor Kurzem berichtet, und der deutsche Formel-1-Rennfahrer Sebastian Vettel hat sich gerade gegenüber der Süddeutschen Zeitung als Plattensammler geoutet, weil er findet: „Vinyl hat mehr Charakter.“
Herr Hipster, wo biste?
Das hieß für unsere Plattenbörse im Shoppingcenter aber noch längst nicht, dass sich dorthin jetzt auch Hipster, wie sie auf dem Foto in der New York Times zu sehen waren, oder vielleicht sogar der Vettel verirrten, um vielleicht auch nach seltenen Technoplatten zu suchen, wie man das anscheinend in New York gerade macht. Michael Kohls, einer der Plattenhändler in Köpenick, der selbst eine Plattenbörse in der TU-Mensa organisiert, sagte, die Leute hätten „hauptsächlich nach alten deutschen Schlagern“ gefragt. Einer seiner Kollegen am Nebentisch meinte, er hätte das Gefühl, die Leute seien aus Frankfurt an der Oder oder so gekommen, mit 10 Euro in der Tasche. Das Geschäft, da waren sich beide einig, lief schlecht.
Technoplatten hätte der Hipster sowieso gar nicht gefunden. Auf Berliner Plattenbörsen kaufen immer noch bevorzugt Typen in speckigen Lederjacken irgendwelche Progressive-Rock-Platten, hier hat man nicht das Gefühl, als sei Vinyl wirklich wieder in. Ein Händler, der Rolf von „Witch Doctor’s Totem“ genannt werden möchte, meinte, die meisten Platten hätte er an andere Händler verkauft. Privatpersonen hätten sich kaum vor seinem Stand verirrt, sagte er. Was das Comeback von Vinyl im großen Stil anbelangt, war er sowieso eher skeptisch: „Ich glaube nicht, dass die breite Masse wieder auf Vinyl umsteigt.“
Plötzlich kam am Samstagmittag doch noch ein wenig Unruhe auf. Im Rahmen der Plattenbörse fand eine Autogrammstunde der Ostrockband Stern Combo Meissen statt, auf deren Platten man in den vielen Amiga-Fächern schon gestoßen war. Und die schon in den Siebzigern in der DDR aktiv war. Deswegen waren die Typen aus Frankfurt an der Oder ohne Geld wahrscheinlich gekommen.
ANDREAS HARTMANN
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