SPORTPLATZ
: Kreuzberger Kultclub schrammt knapp an Pleite vorbei

FUSSBALL Ex-Chefs des Regionalligisten Türkiyemspor verzichten auf Geldforderungen

„Wenn wir nichts tun, geht die Schere auseinander, bis es kippt. Eine Insolvenz ist eine Chance“

SÜREYYA INAL

Süreyya Inal wählt einen drastischen Vergleich zwischen der ärztlichen Diagnose Krebs und dem schlechten Zustand des Fußballvereins Türkiyemspor. „Es gibt auch gutartigen Krebs, den man heilen kann“, sagt die Steuerberaterin, die als Aufsichtsratsvorsitzende des Kreuzberger Clubs fungiert.

Als solche ist die Powerfrau die richtige Person, um die Krise zu managen, die sich vor dem Regionalligisten wie ein dunkler Abgrund auftut. Frau Inal hat in den letzten Wochen Türkiyemspors Finanzen durchleuchtet und kommt zu dem alarmierenden Urteil: „Türkiyemspor wird Insolvenzantrag stellen, wenn sich nichts ändert.“

Dass der 1978 gegründete Kultclub, sportlicher Liebling der Multikultiszene Kreuzbergs, wirtschaftlich nicht auf Rosen gebettet ist, war bekannt. Jahrelang überwiesen Funktionäre Geld aus ihrer Privatschatulle in die Vereinskasse, damit es weiterging. Denn obwohl Türkiyemspor mit Auszeichnungen und Lob für seine Integrationsarbeit mit Migranten überschüttet wurde, biss kein Großsponsor an. „Das tut weh. Wir dachten, dass wir mal für unsere Arbeit belohnt werden würden“, erzählt Ehrenpräsident Celal Bingöl.

Jetzt drückt Türkiyem eine Schuldenlast von fast 640.000 Euro. Für Aufsichtsratschefin Inal ist es höchste Zeit zu handeln. „Wenn wir nichts tun, geht die Schere auseinander, bis es kippt. Eine Insolvenz ist eine Chance, das Ganze zu sanieren.“

Die einst willkommene Geberlaune der Funktionäre könnte Türkiyem jetzt zur Gefahr werden. Sieben ehemalige Vorstandsmitglieder können Forderungen an den Club in Höhe von rund 300.000 Euro geltend machen. Allein ein ehemaliger Präsident schlägt mit fast 170.000 Euro zu Buche. Dagegen nehmen sich die offenen Rechnungen bei Krankenkassen, Fußballverband, Senat, Mannschaft, Trainer und Dienstleistern zwar nicht bescheiden aus, aber, so Inal, man führe „gute Gespräche“ mit den Gläubigern.

Am 24. Oktober steht eine Mitgliederversammlung bei Türkiyemspor an. An jenem Freitag würde der Aufsichtsrat um Frau Inal, der zuletzt das operative Geschäft vom zurückgetretenen Vorstand übernommen hatte, den Verein am liebsten in eine neue Zukunft führen.

„Ich habe Erklärungen von Sponsoren, dass sie einsteigen werden“, verkündet die Steuerexpertin. Allerdings wollten diese potenziellen Geldgeber nur investieren, wenn die Strukturen beim Kreuzberger Kultclub modernisiert würden. Nach dem Motto: Schluss mit dem Geldfluss der Funktionäre nach Lust und Laune, hin zu einem Wirtschaften mit profundem Haushaltsplan und nachhaltigem Werbekonzept.

Die hohen Verbindlichkeiten beim früheren Führungspersonal schweben jedoch wie ein Fallbeil über der Zukunftsplanung. „Wir wollen in Frieden das ganze Ding lösen. Ich gehe vom guten Willen der früheren Vorstandsmitglieder aus“, sagt Krisenmanagerin Inal.

Am Sonntag bekundeten die sieben Exbosse nach einer fast dreistündigen Krisensitzung – schriftlich oder mündlich – ihre Bereitschaft, auf Geldforderungen zu verzichten. „Sie sind Helden“, sagte Türkiyem-Aufsichtsratsmitglied Mehmet Matur in Feierlaune. Damit sei der drohende Insolvenzantrag des Clubs in letzter Sekunde abgewendet, die Sanierung Türkiyemspors könne beginnen. Matur: „Wir lagen im Koma und sind wieder aufgewacht.“ JÜRGEN SCHULZ