Freude, Zensur und Hausarrest

CHINA Menschenrechtler feiern den neuen Träger des Friedensnobel-preises, Liu Xiaobo, die Regierung antwortet mit Druck und Härte

Im Internet und auf Mikroblogs kursieren Glückwünsche und Karikaturen

AUS PEKING JUTTA LIETSCH

Dicker Smog liegt über Peking, aber Buchhändler Li steht vor seinem Geschäft in der Innenstadt und schaut, als sei gerade die Sonne aufgegangen. „Das ist ein guter Tag für China“, kommentiert er die Nachricht, dass der inhaftierte Bürgerrechtler Liu Xiaobo in diesem Jahr den Friedensnobelpreis erhält.

„Das macht allen Mut, die daran glauben, dass die Menschenrechte für alle gleichermaßen gelten.“ Mit feiner Ironie fügt er hinzu: „Wie lange schon hatten wir Chinesen uns nach einem Nobelpreis gesehnt, und nun haben wir gleich den wichtigsten und besten von allen bekommen – dank der hervorragenden Arbeit unserer Regierung!“

Die Entscheidung des Komitees aus Oslo für Liu Xiaobo, der sich am Sonntag mit seiner Ehefrau im Gefängnis traf, hat sich in der Szene der Bürgerrechtler wie ein Lauffeuer verbreitet. Und das trotz aller Zensurbemühungen der Behörden, und obwohl die staatlich kontrollierten Medien sie weitgehend verschwiegen. Eine Ausnahme war eine Onlinezeitung, Businesstimes.com.cn. Sie berichtete über das Ereignis, bis ihre Website nach einigen Stunden gesperrt wurde. Englischsprachige Zeitungen wie die Global Times, die ebenfalls staatlich kontrolliert sind, warfen dem Nobelpreiskomitee Chinafeindlichkeit und Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Landes vor.

In der Hauptstadt und andernorts trafen sich Freunde zur Party. Eine der Feiern in einem Pekinger Restaurant wurde am Freitag von Polizisten aufgelöst. Mehrere Unterzeichner des Reformappells „Charta 08“, der von Liu Xiaobo mitverfasst worden ist und einer der Gründe für das harte Gefängnisurteil für ihn war, wurden stundenweise unter Hausarrest gestellt.

Der Zugang zu Lius Wohnung wurde am Sonntag von einem halben Dutzend Männern blockiert. Im Internet und auf Mikroblogs kursieren Glückwünsche und Karikaturen wie die Medaille hinter Gitterstäben – ohne Worte. Der Schriftsteller und Rennfahrer Han Han, Chinas meistgelesener Blogger, setzte zwei Anführungsstriche auf seine Website – ebenfalls ohne Worte. Viele Kommentare waren so witzig wie der des Pekinger Buchhändlers Li über die „hervorragende Arbeit“ der Regierung. Li gehört, genauso wie seine Frau, zu jenen hunderttausenden Chinesen, die in den fünfziger und sechziger Jahren als „Rechtsabweichler“ und „Konterrevolutionäre“ eingesperrt waren.

Wie viele Chinesen derzeit das Schicksal des Friedensnobelpreisträgers Liu teilen und als politische Häftlinge im Gefängnis sind, ist unklar. Die Regierung betrachtet solche Informationen als Staatsgeheimnis. Experten wie Nicholas Bequelin von der Organisation Human Rights Watch in Hongkong schätzen, dass es „Tausende“ sind: „Jedes Jahr werden zwischen 500 und 800 Chinesen wegen ‚Staatssicherheitsdelikten‘ angeklagt. Ein großer Teil davon wird [wie auch Liu Xiaobo] der ‚Anstiftung zur Untergrabung des Staatssicherheit‘ beschuldigt, andere der ‚Anstiftung zum Separatismus‘.“

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