Rettet Libyen

LIBYEN Die EU setzt wieder vor allem auf militärische Hilfe. Das wird selbst von Militärs kritisiert. Denn das Land braucht jetzt Hilfe beim Staatsaufbau

■ ist freier Journalist, Filmemacher und Medientrainer und lebt in Bengasi. Schwerpunkt seiner Arbeit sind Reportagen aus Nordafrika und Südosteuropa, für die taz berichtet er regelmäßig aus Libyen.

Vor drei Jahren fasste der damalige französische Präsident Nicholas Sarkozy einen beherzten Entschluss und gab schon den Angriffsbefehl für die französischen Mirage-Kampfflugzeuge. Es war der Beginn eines achtmonatigen Kriegs mit über 15.000 Toten. Seitdem ist Libyen aus den Schlagzeilen verschwunden. Das wird sich demnächst ändern.

Denn anders als Europa haben al-Qaida-nahe Gruppen und Dschihadisten die strategische Lage Libyens erkannt und sind dabei, aus dem ölreichsten Land Afrikas ein Afghanistan vor den Toren Europas zu machen.

Libysche Waffen in Mali

Laut einem UN-Bericht haben Libyens Milizen das riesige Waffenarsenal des Regimes bereits in 14 Länder verkauft, die Kriege in der Zentralafrikanischen Republik und Mali sind direkte Folge des libyschen Chaos. Die Regierung von Katar, während des Libyen-Einsatzes ein Bündnispartner der Nato, bewaffnet extremistische Milizen in Bengasi für den Kampf in Syrien. Die libysche Regierung ist Geisel der Milizen geworden, die sie teilweise selbst bezahlt. Der Sohn des Premierminister al-Thinni wurde letztes Jahr entführt, als er als Verteidigungsminister gegen Milizen vorgehen wollte.

Der neue Premier Abdullah al-Thinni hat nun die internationale Gemeinschaft um Hilfe im Kampf gegen Terroristen gebeten. Gruppen wie Ansar Scharia haben den neu entstandenen demokratischen Institutionen den Kampf angesagt und wollen ausschließlich die strenge Auslegung der Scharia als Grundlage des Zusammenlebens akzeptieren.

Die Mehrheit der Libyer hält davon nichts. Bei den ersten demokratischen Wahlen 2012 wählten sie moderat, und immer wieder sind die Bürger Bengasis und in anderen Städten gegen die Willkür der Milizen auf die Straße gegangen. Auch die meist jungen Demonstranten in Bengasi hatten im Februar 2011 gegen den Willen ihrer Väter für einen Job und mehr Bürgerrechte demonstriert. Die Islamisten aber reagieren auf den Wunsch nach Demokratie mit der Entführung von Aktivisten und auch Journalisten, von denen deshalb immer mehr ins Ausland fliehen.

Das soziale Netz der Stämme und die immer noch regelmäßige Lohnzahlung des Staates schützen Libyen vor dem völligen Zusammenbruch. Auch wenn Stämme und Städte um Posten und Macht ringen, so verfügen sie noch immer über traditionelle Mechanismen der Deeskalation. Nun aber gefährdet die sechsmonatige Blockade der Ölhäfen durch die Föderalistenbewegung auch noch diese letzte Sicherung.

Zurzeit ist keine politische Figur in Sicht, die Libyens rivalisierende Gruppen vereinen könnte. Hassan al-Lamin, Dissident zuzeiten Gaddafis und Menschenrechtsaktivist, musste nach Todesdrohungen letztes Jahr zum zweiten Mal aus Libyen fliehen. Er wundert sich wie viele andere, dass der Westen passiv zuschaut, wie das Chaos in Libyen langsam unbeherrschbar wird.

Die Resolution 1973 der Vereinten Nationen wurde zum Schutz der Zivilbevölkerung verabschiedet. Umgesetzt wurde sie von Nationen, die zuvor Waffen an Muammar Gaddafi verkauft hatten. Sarkozy steht in Verdacht, Wahlkampfspenden von Gaddafi erhalten zu haben, Silvio Berlusconis Freundschaft zu Gaddafi brachte lukrative Verträge für italienische Firmen. Und was macht Europa heute?

Es hilft hauptsächlich militärisch und macht sich mal wieder unglaubwürdig. 6.000 libysche Soldaten werden im Ausland trainiert, Waffenverkäufe inklusive. Sie werden früher oder später gegen die Dschihadisten kämpfen müssen, aber ohne funktionierenden Staat sich nur ihrer Heimatstadt verpflichtet fühlen.

Mit einer neuen Armee alleine wird in Libyen keine Sicherheit zu schaffen sein, gab ein hoher libyscher Offizier bei der Verabschiedung von Rekruten nach England in der letzten Woche zu bedenken. Das neue Libyen lässt sich nur mit Berufsausbildung, funktionierenden Behörden und gerechter Verteilung des Wohlstands schaffen. Dafür waren die Demonstranten im Februar 2011 auf die Straße gegangen.

Die Islamisten sind zu stoppen

Libyen ist ein junger Staat, Institutionen, denen die Bürger trauen, müssen erst aufgebaut werden. Im Jahr 1934 wurden die drei Provinzen Cyreneika, Fezzan und Tripolitanien von den italienischen Kolonialherren zu einem Land zusammengefügt. Vor Gaddafis 42- jähriger autoritärer Herrschaft regierte König Idris 18 Jahre über eine Föderation von Stämmen. Die jungen Libyer schauen nach Europa und nicht Saudi-Arabien. Sie wollen einen demokratischen Staat aufbauen, der ihnen eine Perspektive und Gerechtigkeit bietet.

Militärisch ist der nächste Konflikt in Libyen nicht zu gewinnen. Die EU muss endlich anfangen, die Aktivisten zu unterstützen

Doch der Wettlauf gegen die Zeit läuft. Radikale Gruppen kehren aus Syrien zurück, wo alleine 1.400 Libyer bei der extremistischen Nusra-Front oder in Isis-Einheiten kämpfen. Sie werden die junge Demokratie in Tripolis bekämpfen, so wie jetzt schon in Bengasi, wo täglich Soldaten bei Bombenattentaten sterben.

Doch die Lage ist nicht hoffnungslos. In vielen Gemeinden wie Tobruk haben die Milizen ihre Waffen abgegeben. Neu gewählte Lokalräte versuchen Infrastrukturprojekte zu stemmen. Unterstützung erhalten sie weder aus Tripolis noch Brüssel. In der Sahara sind es unzählige Privatinitiativen, die sich um die Flüchtlinge kümmern, die auf dem Weg nach Europa ihr Leben riskieren.

Die EU muss der libyschen Zivilgesellschaft und den neuen Institutionen endlich massiv helfen. „Auch wenn wir Anzug und Krawatte tragen, die neuen Politiker und wir sind die Amateure. Die Extremisten sind die Profis“, sagte ein Aktivist kürzlich in Bengasi und er hat recht damit.

Die Aktivisten benötigen strukturelle Hilfe, und zwar jetzt. Es wäre fatal, den gleichen Fehler zu machen, der auch in Syrien zum Aufstieg der Islamisten geführt hat. Extremismus unter religiösem Vorwand ist nicht die Folge der arabischen Umstürze, sondern hat seine Wurzeln in mangelnder Bildung und sozialer Ungerechtigkeit unter den Diktaturen. Militärisch ist der nächste Konflikt in Libyen nicht zu gewinnen. Es wäre besser, die Jungs in eine Berufsschule zu schicken, sagt der bereits erwähnte Offizier, als seine Rekruten das Flugzeug nach England besteigen. MIRCO KEILBERTH