Unter Freunden

Warum Jack Warner, ein offensichtlich korrupter Fifa-Funktionär aus Trinidad und Tobago, ungestraft Karten verschachern darf und der Präsident des Fußball-Weltverbandes, Joseph Blatter, daran gar keinen Anstoß nimmt

Statt für 300 Euro verkaufte die geschäftstüchtige Familie Pauschalangebote für 4.000 Euro

AUS ZÜRICH JEAN FRANÇOIS TANDA

Mafia stammt ab vom Sizilianischen und bedeutet: „arrogant, eingebildet“. Vielleicht ist das Wort aber auch aus dem Arabischen abgeleitet von „Schutz bieten“. Die Gelehrten sind sich da nicht ganz einig. Wie auch immer: Die etymologischen Zuschreibungen passen zum Weltfußballverband Fifa, dessen Exponenten als arrogant und eingebildet empfunden werden und die selbst bei groben Verstößen gegen den Gerechtigkeitssinn oder die Fifa-Statuten auf den Schutz der Fußballfamilie zählen dürfen. Das neueste Hohelied auf die Fifa darf Vizepräsident Jack A. Warner singen, ein enger Vertrauter des Fifa-Präsidenten Joseph „Sepp“ Blatter. Obwohl er seine Position als Fifa-Boss missbraucht hat, um fette Geldgewinne einzufahren, bleibt Warner wohl unbehelligt.

Schon seit Juli liegt der Fifa ein Bericht der Wirtschaftsprüfer von Ernst & Young vor. „Wir können bestätigen“, schrieben die Wirtschaftsprüfer just an jenem Tag, an dem Deutschland WM-Dritter wurde, „dass WM-Tickets von Mr. Jack Warner, in Verletzung von Fifa-Regeln und -Bestimmungen über den Ticketverkauf, in den Zweitmarkt verschoben oder weiterverkauft wurden.“ Zum Verhängnis wurde dem Fußballfunktionär ausgerechnet die penibel genaue Registrierung der WM-Eintrittskarten, die für großen Unmut gesorgt hatte, dank der sich aber alle Zahlungs- und Ticketflüsse nahtlos nachweisen ließen. Doch Warner ist ein Lucky Boy, er durfte erfahren: Auf echte Freunde ist Verlass. Denn die Mitglieder des Fifa-Exekutivkomitees haben vergangene Woche entschieden, den Fall ihres Kollegen an eine andere, untergeordnete Kommission zu übergeben. Dabei ist Warner mit dem Kosenamen „Jack the Ripper“ ein Wiederholungstäter. Anders als sein prominenter Namenspatron wurde Jack W. allerdings ertappt. Bestraft wurde er aber noch nie.

Schon Ende vergangenen Jahres sorgten Medienberichte aus seiner Heimat Trinidad und Tobago weltweit für Negativschlagzeilen. Damals hatte der Trinidad Express über das Reisebüro „Simpaul’s Travel“ berichtet. Dieses verkaufte in der Hauptstadt Port-of-Spain rund 13.000 WM-Tickets exklusiv und hatte prominente Eigentümer: Jack Warner, seine Frau und die beiden Söhne.

Statt für 300 Euro verkaufte die geschäftstüchtige Familie Pauschalangebote (Ticket, Hotel) für 4.000 Euro. Verdient haben soll sie zwischen 730.000 und 840.000 Euro. Warner verstieß damit klar gegen den Fifa-Verhaltenskodex. Ein Fall also für die Kommission für Ethik und Fairplay. Diese hat die Affäre zwar besprochen, aber nicht entscheiden wollen. Das Dossier wurde an das Exekutivkomitee um Blatter, Warner & Co. weitergereicht. Und obwohl der Ethikkodex bestimmt, dass „als Offizielle nur Personen wählbar sind, die sich durch moralisch hochstehendes Verhalten auszeichnen“, blieben schon damals Sanktionen gegen Warner aus.

Trotz neuer Ethikkommission haben sich die Fußballfürsten präventiv gegen unangenehme Untersuchungen und Angriffe abgesichert. Weder das gemeine Volk und Journalisten noch die Ethikkommission selbst dürfen Verstöße gegen den Ethikkodex anzeigen. Das darf nur ein erlauchter Kreis: Mitglieder des Fifa-Exekutivkomitees, die nationalen Verbände, die Konföderationen (z. B. Uefa) und der Fifa-Generalsekretär. Kein Grund also für die Fußballfunktionäre, sich wegen der neuen Sittenwächter unter dem Vorsitz des früheren Leichtathleten Sebastian Coe ernsthaft Sorgen um ihre lukrativen Geschäfte zu machen.

Jack Warner kann sich beruhigt zurücklehnen – trotz seiner eingeheimsten Ticketgewinne. Warum? Weil sich die Fifa-Ethiker nur mit potenziellen Fällen befassen, die in der Zukunft liegen. Denn – so formulierte es der Weltfußballverband – die neuen Regeln gelten nicht „retrospektiv“. Dabei könnte ein Rückblick viel Spannendes zu Tage fördern.

Seit Blatter 1998 erstmals zum Fifa-Präsidenten gewählt wurde, umwehen ihn und seine Vasallen Gerüchte um Bestechung, Mauscheleien und Günstlingswirtschaft. Bisher blieb das ohne Konsequenzen. Die Fifa ist trotz ihrer Milliardeneinnahmen in der laschen Rechtsform eines Vereins nach Schweizer Recht organisiert. Sie darf intern mehr oder weniger machen, was sie will, und unterliegt keinerlei öffentlicher Kontrolle. Blatter spricht von der Fifa gern als „Familie“, deren Angelegenheiten intern zu regeln seien. Und Bruder Jack ist ein wichtiges Familienmitglied. Er garantiert Papa Sepp die 35 Stimmen der nord- und mittelamerikanischen Fußballverbände, immerhin ein Drittel der Stimmen, die Blatter nächstes Jahr für eine sichere Wiederwahl zum Pater familias benötigt. So wäscht eine Hand die andere: Warner bleibt straffrei, Blatter Präsident.

Gefahr droht ihnen eher von der Schweizer Justiz. Diese ermittelt wegen „ungetreuer Geschäftsbesorgung zum Nachteil der Fifa“; ein Wirtschaftsdelikt, das definitionsgemäß nur von Fifa-Offiziellen begangen werden konnte. Im Rahmen der Ermittlungen wurden die Büros von Blatter und seinem Generalsekretär polizeilich durchsucht. Vergebens versuchten die beiden, vor Gericht den zuständigen Untersuchungsrichter loszuwerden. Wann und ob es zur Anklage kommen wird, ist noch unklar.

Blatter sitzt jedenfalls fest auf seinem Fußball-Thron. Freiwillig wird er ihn kaum verlassen. Er, der in seiner Studentenverbindung den Namen „Mi-temps“ (Halbzeit) trägt, wünscht sich, dass Brot und Spiele mit ihm noch lange weitergehen. Dabei möchte man ihm und seinen Kompagnons die dritte Halbzeit so sehr gönnen.