Hilfe nach dem erlittenen Trauma

Opfer von Gewaltkriminalität nehmen zu wenig Entschädigungsleistungen in Anspruch. Der „Weiße Ring“ klärt die Betroffenen über ihre Rechte auf, vermittelt Anwälte und therapeutische Hilfe. Morgen feiert die Organisation ihr 30-jähriges Jubiläum

VON SIEGFRIED SCHMIDTKE

Noch immer zittern die Hände von Elke Jansen (Namen geändert), wenn sie an den 18. Oktober 2004 denkt. An diesem Montag wollte die 37-jährige Erzieherin in ihrer Mittagspause nur mal kurz in die Bank, um Bargeld abzuheben. Als sie vom Schalter zurück zum Ausgang geht, wird die Tür aufgerissen, und drei maskierte und bewaffnete Männer stürmen in die Bank. Einer der Maskierten fesselt den fünf Bankkunden mit Kabelbindern Hände und Füße und richtet ein Maschinengewehr auf Elke Jansens Kopf. Sie erleidet einen schweren Schock.

Jansen wird nach dem Verbrechen ein Fall für das Opferentschädigungsgesetz – vom „Weißen Ring“ über ihre Rechte aufgeklärt, erhält sie aus staatlichen Mitteln 20 Stunden Traumatherapie bezahlt. Der „Weiße Ring“ feiert an diesem Wochenende sein 30-jähriges Jubiläum – er wurde am 24. September 1976 als gemeinnütziger Verein zur Hilfe von Kriminalitätsopfern ins Leben gerufen. Ebenfalls seit 30 Jahren gibt es ein Opferentschädigungsgesetz (OEG) in Deutschland. Danach haben Opfer von Gewaltkriminalität unter bestimmten Bedingungen Entschädigungsansprüche an den Staat. Das können Vergewaltigungsopfer sein, Passagiere eines entführten deutschen Flugzeugs, von Fussballfans zusammengeschlagene Straßenpassanten.

Doch viel zu wenig Kriminalitätsopfer melden ihre Ansprüche auf Entschädigung bei den zuständigen Versorgungsämtern an. Denn das große Manko des Opferentschädigungsgesetzes ist: Fast keiner kennt es. Das findet Helmut Rüster vom „Weißen Ring“ in Mainz „beschämend“. „Von etwa 200.000 anspruchsberechtigten Kriminalitätsopfern im Jahr 2005 haben nur rund zehn Prozent bei den Versorgungsämtern einen Antrag auf Entschädigungsleistungen gestellt, und nur etwa 11.000, also knapp über fünf Prozent, erhielten Leistungen.“

Allerdings bekommen die Opfer durch die Entschädigung nicht etwa Schmerzensgeld auf die Hand, sondern Versorgungsleistungen wie etwa therapeutische Hilfe und in Extremfällen eine Rente. Martin Kölling vom Kölner Versorgungsamt hat deshalb auch eine Erklärung für die große Lücke zwischen der Zahl der Gewaltopfer und den Leistungsempfängern. „Bei den genannten 200.000 Gewaltopfern handelt es sich zum einen oft um sogenannte Bagatellfälle. Das sind Schlägereien im Karneval oder beim Fußball, teilweise unter Alkoholeinfluss. Die eingeschlagenen Nase wird im Hospital behandelt und von den Kassen bezahlt. Zum anderen gibt es eine hohe Dunkelziffer bei den Sexualdelikten. Viele Frauen zeigen sexuelle Belästigungen oder auch Vergewaltigungen erst gar nicht an und stellen dann natürlich auch keinen Antrag auf Entschädigung.“

Der „Weiße Ring“ beklagt jedoch, dass viele Regelungen im Argen liegen. „Noch immer erfahren die Täter von Gewaltdelikten mehr Aufmerksamkeit als die Opfer“, so Rüster. So gestand der Gesetzgeber erst im Jahr 2004 den Eltern ermordeter Kinder einen vom Staat bezahlten Opferanwalt zu.

Der „Weiße Ring“ ist die einzige bundesweite Opferschutzorganisation mit 400 Außenstellen. Das wohl bekannteste Gründungsmitglied und langjähriger Vorsitzender war Eduard Zimmermann, lange Zeit Leiter der ZDF-Sendung „Aktenzeichen XY“, spaßeshalber auch „Ganoven-Ede“ genannt.

Die Mitarbeiter des „Weißen Rings“ begleiten Gewalt- und Kriminalitätsopfer zu Polizeidienststellen und Gerichten, helfen beim Antrag auf Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz und vermitteln Anwälte sowie therapeutische Hilfe.