Sündenfall im Abhörparadies

In Italien oblag es schon immer der Telecom, sämtliche Abhöraktionen durchzuführenSeltsam stumm ist bisher die Politik. Prodi ist auch nach 48 Stunden nichts zu dem Skandal eingefallen

AUS ROM MICHAEL BRAUN

Als die Polizei am Mittwoch 21 Menschen in Mailand, Florenz, Bologna und Turin verhaftete, hatte Italien einen der größten Abhörskandale seiner Geschichte – und den womöglich bizarrsten noch dazu. Der Vorwurf der Fahnder ist schnell erzählt: Der frühere Sicherheitschef der Telecom Italia, Giuliano Tavaroli, soll von 1997 an ein weitverzweigtes Bespitzelungsnetz aufgebaut und tausende Bürger per Telefonüberwachung, aber auch per Überprüfung von Konten und Vorstrafenregistern ausgespäht haben. Keiner aber weiß bisher, was Tavaroli mit den angehäuften Informationen eigentlich wollte.

Überprüfte er zum Beispiel die Telecom-Angestellten, deren Telefon-Verbindungsdaten er einsammelte, im Auftrag der Firmenleitung – oder einfach bloß so aus eigenem Antrieb? Und wie kam er auf die zahlreichen Promis, die er abhören ließ? Was interessierte ihn an dem Fußballtrainer Fabio Capello, was an Exstürmerstar Bobo Vieri, was am – letzten Sommer über den Riesenskandal im italienischen Fußball gestürzten – Verbandspräsidenten Franco Carraro? Und welcher Logik gehorchte die breite Ausforschung von italienischen Wirtschaftsbossen? Geriet zum Beispiel die gesamte Spitze der römischen Großbank Capitalia in seinen Blick, weil die einer der Hauptkreditgeber der Telecom war? Und was genau wollte Tavaroli über die Benettons – die zu den Hauptaktionären der Telecom gehören – wissen, was über den Eigner der Tageszeitung La Repubblica, Carlo De Benedetti, was über den früheren Präsidenten des Unternehmerverbandes Antonio D’Amato?

Klar ist nur: Tavaroli saß am richtigen Platz. Sicherheitschef der Telecom Italia: Das ist nicht irgendein Posten als Leiter der Security in einem Großkonzern. In Italien oblag es immer schon der Telecom, im Auftrag der diversen Staatsanwaltschaften des Landes sämtliche Abhöraktionen durchzuführen – und die Abhörabteilung des ehemaligen Staatsmonopolisten, der heute vom Pirelli-Konzern geführt wird, unterstand Tavaroli. Der saß damit direkt an der Quelle: Er brauchte seinen Angestellten bloß die gefälschten Abhöraufträge rüberzureichen, und schon liefen die Tonbänder. Ähnlich einfach war es für ihn, an Verbindungsdaten von Festnetzanschlüssen ebenso wie von Handys der Telecom-Tochter TIM zu kommen: Die Software hatte praktischerweise eine „Lücke“, die Zugriffe auf die Daten erlaubte, ohne dass Spuren zurückblieben.

Richtig auffallen konnte das nicht in einem Land, in dem schon das legale Abhören in einer anderswo nicht gekannten Breite geschieht: Pro Jahr werden 100.000 Anschlüsse angezapft; etwa 1 Million Bürger geraten so auf die staatlichen Tonbänder. Und es gibt keinen Skandal in Italien, in dem nicht die ausführlich in den Zeitungen abgedruckten Abhörprotokolle eine zentrale Rolle spielten, ob das nun die großen Schmiergeldskandale Anfang der Neunzigerjahre waren, der Skandal um den wegen Insidergeschäften angeschuldigten Exnotenbankpräsidenten Antonio Fazio vor einem Jahr oder auch der Fußballskandal vom letzten Sommer.

Tavaroli hatte aber auch die richtigen Kumpel. Da ist zunächst der ebenfalls verhaftete Emanuele Cipriani, der in Florenz eine Privatdetektei mit dem absurden Namen „Polis d’istinto“, „Polis des Instinktes“ betrieb. Ihn beauftragte Tavaroli jedes Mal ganz offiziell im Namen und auf Rechnung der Telecom mit weiteren Nachforschungen, wenn die Abhörprotokolle nicht reichten. Cipriani hatte ein ganzes Netz von Zuträgern, vor allem Polizisten, Finanzpolizisten und Carabinieri – elf von ihnen kamen jetzt in den Knast –, die sich dann an die Arbeit machten. Da wurden Konten gecheckt, Katastereinträge überprüft, Vorstrafenregister gelesen – immer per illegalen Zugriff auf staatliche Datenbanken. Und der Dritte in dem Freundschaftsbund war auch nicht irgendwer: Er heißt Marco Mancini. Mancini war im militärischen Geheimdienst Sismi tätig, als Nummer zwei direkt unter dem obersten Chef und als Verantwortlicher für die operativen Einsätze.

Ihn hatte, früher als die anderen, schon ein Haftbefehl ereilt: Er soll dem CIA bei der Verschleppung des islamistischen Imams Abu Omar im Jahr 2003 in Mailand zugearbeitet haben und ist deshalb der Entführung angeschuldigt. Jetzt aber, im Abhörskandal, liegt bisher nichts strafrechtlich Relevantes gegen ihn vor. Dennoch widmen die Ermittler Mancini breiten Raum in der Begründung der Haftbefehle. „Gefährliche Beziehungen“ zwischen Mancini und den Privatspionen habe es gegeben, schreiben die Staatsanwälte. Die Einlassung Ciprianis, er habe Mancini immer mal wieder an der Autobahnraststätte Florenz getroffen, um mit dem alten Freund „gemeinsam ein Brötchen zu essen“, sei einfach lächerlich. Mehr als tausend Telefonkontakte in kurzer Zeit seien erfolgt – und dann werden die Staatsanwälte ironisch: „Nicht einmal zwei heftig Verliebte haben so intensiven Kontakt. Die Kontakte können nur einen ‚beruflichen‘ Grund haben.“

Welchen genau aber – das wissen die Staatsanwälte nicht. Sie spekulieren über das Dreieck Tavaroli (Telecom)/Cipriani (Privatdetektei Polis)/Mancini (Geheimdienst): „Statt auf der Gewinnung präziser Informationen gründeten die Untersuchungsaufträge von Tavaroli an Cipriani wahrscheinlich auf vielleicht nur embryonalen Ursprungsinformationen, die schon bei den staatlichen Diensten vorlagen.“ So geht es dann mit „wahrscheinlich“ und „vielleicht“ weiter: Es sei wohl weniger um für die Telecom und die das Telefonunternehmen kontrollierende Pirelli nützliche Infos gegangen. „Wahrscheinlich“ seien die Ausforschungen „im Interesse der Dienste oder auch mit Blick auf Resultate erfolgt, die den Diensten vorher schon vorlagen, während die Kosten von Telecom und Pirelli getragen wurden“.

Und was für Kosten: Insgesamt mindestens 20 Millionen Euro strich Ciprianis Privatdetektei mit dem „Instinkt“ im Namen in den letzten acht Jahren ein, alle brav gezahlt aus den Firmenkassen der Telecom und von Pirelli. Die Sekretärin Ciprianis jedenfalls wunderte sich in einem Verhör: Oft genug habe ihr Chef für die Unsummen „gar nichts getan“. Das alles klingt fast so, als hätten die drei alten Freunde vor allem die 20 Millionen Euro im Auge gehabt. Wie sonst soll man den Hinweis der Staatsanwaltschaft verstehen, Cipriani hätte „Erkenntnisse“ gesammelt, die den Diensten „vorher schon vorlagen“?

Doch so einfach liegen die Dinge auch wieder nicht. Marco Tronchetti Provera zum Beispiel, Pirelli-Mehrheitseigner und bis vor wenigen Tagen Präsident der Telecom, hätte einiges zu erklären. Ihm allein war sein Sicherheitschef Tavaroli unterstellt. Als Tavaroli letztes Jahr schon ins Gerede kam, ging die Firma nicht etwa auf Distanz – sondern machte den rührigen Ermittler mit den guten Kontakten im April 2005 schnell zum Reifen-Manager in Rumänien. Und als die Tageszeitung La Repubblica in den letzten Monaten immer mal wieder auf die eigenartige Person Tavaroli zu sprechen kam, mokierte sich die Telecom über die „Kampagne“, die darauf ziele, „Telecom zu schwächen“. Vor Tronchetti Provera wird sich womöglich aber Tavaroli selbst über seine Kontakte zum Telecom-Chef äußern. Gestern Nachmittag wurde er zum ersten Mal von den Staatsanwälten verhört.

Auskünfte wären auch von dem militärischen Geheimdienst Sismi zu erwarten. Dessen leitender Angestellter Marco Mancini tauschte mit Tavaroli fröhlich die Handys, und auch ein gewisser Adamo Bove war bei dem Handy-Ringtausch dabei. Bove wiederum war Sicherheitschef der Mobil-Tochter TIM gewesen, bevor er im letzten Juli in Neapel von einer Brücke fiel. Angeblich war es Selbstmord, just in den Tagen, als Mancini wegen der Entführung des Mailänder Imams verhaftet wurde, als die Telecom-Abhör-Ermittlungen sich ihrem Ende näherten.

Seltsam stumm ist bisher die Politik. Ministerpräsident Romano Prodi ist auch nach 48 Stunden nichts zu dem Skandal eingefallen. Redseliger wurde dagegen Piero Fassino, Vorsitzender der Linksdemokraten, des größten Partners der Prodi-Koalition. „Die jetzt Verhafteten hätten „das Land erpressen wollen“, spekuliert Fassino – und macht so nur deutlich, dass er sich auch noch keinen rechten Reim auf die Affäre machen kann. Justizminister Clemente Mastella dagegen sah einen „Anschlag auf die Demokratie“; er will jetzt erst einmal Inspekteure nach Mailand entsenden, um zu prüfen, ob auch Justizangestellte in dem privaten Spitzelnetzwerk mitgewirkt haben.