Viel Ehre für die Gesellschaft?

Die „Woche des Ehrenamts“ ist gerade vorbei, Politiker haben überall ein Hohelied auf die freiwilligen Helfer angestimmt. Aber ist das Ehrenamt wirklich ein Segen für die Gesellschaft?

JA

Bürgerschaftliches Engagement führt in der Diskussion um gesellschaftliche Reformprozesse momentan – mal wieder – die Themen-Hitliste an. Allerdings fällt auf, dass es dabei oftmals zu einer „unerfreulichen Verquickung“ verschiedener Themen wie Erwerbsarbeit und Arbeitslosigkeit und „Ehrenamt“ kommt (Stichwort: Zwang zu Ein-Euro-Jobs), die keinem der Themen gerecht wird.

Bürgerschaftliches Engagement beruht auf Freiwilligkeit. Eine kurze knappe Aussage, jedoch mit viel Gehalt: Die Freiwilligkeit war, ist und sollte der Profilgeber von Ehrenamtlichkeit bleiben! Jede ehrenamtliche Tätigkeit bedeutet, dass dort ein Bürger freiwillig als aktiver, mitspracheberechtigter Gestalter an einer Mit- und Umgestaltung der Gesellschaft teilhaben möchte.

Die Motivation des Einzelnen kann hierbei altruistisch geprägt sein, es können der Wunsch nach Selbstverwirklichung, nach sozialem Engagement, ein politischer Veränderungswille und vieles mehr eine Rolle spielen. Ausschlaggebend ist, dass das Ehrenamt von einer Vielschichtigkeit der individuellen Motivationen geprägt ist, was wiederum zu einer Vielfältigkeit der Tätigkeitsfelder führt.

Außerdem existiert eine „erfreuliche Verquickung“ von Erwerbsarbeit, Arbeitslosigkeit und Ehrenamt. In den vielfältigen Tätigkeitsfeldern von Ehrenamtlichen gibt es Vielfältiges zu erkennen, zu erfahren, zu lernen. Diese Lernprozesse, die in den Rahmen des lebenslangen Lernens und des Lernens im sozialen Umfeld gehören, bieten die Möglichkeit einer Rückkoppelung an Erwerbsarbeit. Das im sozialen Umfeld erworbene Wissen und die Kompetenzen können in berufliche Prozesse transferiert werden. In diese Richtung könnte eine Brücke in Richtung Erwerbsarbeit geschlagen werden: Wissen, Erfahrungen und Qualifikationen können durchaus in die Erwerbsarbeit eingebracht beziehungsweise bei der Suche nach einer Arbeitsstelle als ein Pluspunkt gewertet werden.

Auch in Zeiten „leerer Kassen“ bei Bund, Land und Kommunen sollte das Ehrenamt nicht auf ein abrufbares Sozialkapital, auf Humanressourcen zur Sanierung des Sozialstaates reduziert werden. Kurz: Das Ehrenamt besitzt ein eigenes Profil, so dass es in der Lage ist, innovative Impulse an die gesellschaftspolitische Diskussion und darüber hinaus praktische Zugaben bei den einzuleitenden Reformprozessen einzubringen.

BARBARA GIERULL

NEIN

Voraussetzung für eine funktionierende Demokratie ist eine lebendige Zivilgesellschaft. Und die lebt vom ehrenamtlichen Engagement. Aber nicht alles, was zum Thema Ehrenamt gesagt wird, zielt auf eine Stärkung der Zivilgesellschaft. Die in den letzten Jahren immer wieder aufkeimende Forderung nach einer Stärkung des Ehrenamtes steht im Kontext leerer öffentlicher Kassen, deren Leere durch politische Entscheidungen herbeigeführt worden ist. Dort, wo kein Geld mehr ist, wird nach dem Ehrenamt gerufen: In den Kommunen, in Schulen, in den Kirchen, aber auch in Gewerkschaften und Parteien ist dieser Ruf zu hören.

In diesem Kontext zielt der Ruf nach dem Ehrenamt auf nichts anderes als den Ersatz professionalisierter und bezahlter Arbeit durch unbezahlte Arbeit. In den beiden großen Kirchen werden mittlerweile in beachtlichem Umfang Erwerbsarbeitsstellen gestrichen und durch Ehrenamtliche ersetzt. Und die Wirtschaft bedient sich ganzer Heere unbezahlter, also “ehrenamtlicher“, PraktikantInnen, um die Arbeitskosten zu senken. Man muss sich vergegenwärtigen, dass dies in einer Gesellschaft geschieht, in der die Existenzsicherung primär an ein Erwerbseinkommen gebunden ist. Gleichzeitig suchen rund fünf Millionen Menschen einen Arbeitsplatz und müssen sich öffentlich vorwerfen lassen, nicht wirklich an Erwerbsarbeit interessiert zu sein. Die so genannten Ein-Euro-Jobs befördern ein fragwürdiges Verständnis sozialer Sicherheit, dass eben diese immer stärker an Arbeit als Voraussetzung bindet („Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen!“). Die Forderung nach ehrenamtlicher Arbeit bekommt vor diesem Hintergrund einen zynischen Beiklang, steht sie doch für eine Art von Arbeitsumverteilung unter völliger Ausblendung der Einkommensfrage.

Ehrenamtliche Arbeit passiert nicht in der industriellen Produktion, sondern hauptsächlich im Bereich sozialer, gesundheitlicher, unterstützender, kultureller und sportlicher Dienstleistungen. Im Prozess der Entwicklung der Dienstleistungsgesellschaft drängt die Europäische Union mit der Dienstleistungsrichtlinie, die in Kürze verabschiedet wird auf eine möglichst weitgehende Professionalisierung und auf hohe Qualitätsstandards dieser Dienstleistungen. Auf ehrenamtlicher Basis ist das nicht zu erreichen. Und es ist kontraproduktiv, wenn durch ehrenamtliche Arbeit Erwerbsarbeitspotenziale in der entstehenden Dienstleistungsgesellschaft blockiert werden, zumal in den genannten Bereichen mehrheitlich Frauen tätig sind.

JÜRGEN KLUTE