Relax in Deutschland

Punk ist nicht tot, sieht aber manchmal fast so aus: Oliver Maria Schmitts Roman „AnarchoShnitzel schrieen sie“

In der Satire-Zeitschrift Titanic gibt es eine Rubrik, die sich „Briefe an die Leser“ nennt und in der die Redaktion Menschen abkanzelt, die gerade einmal wieder etwas Dummes oder Albernes oder Verwerfliches gesagt und getan haben, also irgendetwas, was die Titanic-Redaktion doof findet.

In Oliver Maria Schmitts Roman erinnert sich der Held und Ich-Erzähler Peter Hein (eine Referenz an den gleichnamigen Fehlfarben-Sänger) daran, wie er in frühen Punkzeiten gemeinsam mit einem Kumpel Briefkästen geknackt, die gestohlenen Briefe korrigiert und mit dem Vermerk „So nicht“ an die Absender zurückgeschickt hat.

Was das miteinander zu tun hat? Oliver Maria Schmitt war Chefredakteur der Titanic, die sich von jeher durch einen geradezu ideologischen Humorbegriff auszeichnet – niemand ist so lustig wie wir; wer gut findet, was wir beknackt finden, ist selbst beknackt. Das ist manchmal recht unangenehm. Oder ist es ungerecht, das zu sagen? Zudem ist Schmitt nach wie vor Ehrenvorsitzender der PARTEI, die sich die endgültige Teilung Deutschlands zum Ziel gesetzt hat. Auch damit hat „AnarchoShnitzel“ zu tun.

Einen „Punkroman für die besseren Kreise“ hat Schmitt sein Buch im Untertitel genannt. Der Text lebt vor allem von einem – einem bewundernswert konsequent durchgehalten Achtzigerjahre-Jargon, mit dem es sich genauso verhält wie mit den seinerzeit in Fußgängerzonen abhängenden “Ey-haste-mal-’ne-Mark“-Punks: Sie sind unglaublich nervtötend, und doch hätte ohne sie ganz eindeutig etwas gefehlt. Spätestens wenn bei Schmitt jemand zum zwanzigsten Mal „böses Blickfett“ (ein Max-Goldt-Zitat) verteilt oder „echot“, anstatt ganz schlicht zu antworten, muss man sich schon anstrengen, um ruhig zu bleiben. Aber Punk ist eben auch Provokation, selbst in besseren Kreisen.

Doch worum geht es überhaupt? Um eine Rückkehr um die Jugendzeit möglicherweise. Und um die konsequente Verweigerung des Alterns in all ihren Spielarten. „Wir lieben die Stürme / Und brausendes Bier / Wir sind Gruppe Senf / Und spielen heute hier.“ Mit diesem bahnbrechenden Text feierte Peter Heins Band Gruppe Senf im Juni 1982 im Bürgerhaus ihrer Schmitts Geburtsort Heilbronn auffällig ähnelnden Heimatstadt Hellingen Premiere; Instrumente spielen konnten sie nicht richtig, der Synthesizer funktionierte nicht; die Regionalzeitung zeigte sich enttäuscht, dass die Punkwelle nicht an Hellingen vorbeigegangen sei, lobte jedoch den Mut der jungen Künstler. Rund 20 Jahre später macht Hein, mittlerweile Betreiber einer Internetfirma, sich gemeinsam mit dem obskuren Exbandmitglied Dr. Hollenbach in einer nicht ganz legal gemieteten Luxuslimousine auf den Weg, um die anderen ebenso obskuren Bandmitglieder, vor allem aber seine große Liebe Itty Lunatic zu finden.

Es wird ein Höllentrip, was verständlicherweise vor allem daran liegt, dass man sich tief in den deutschen Osten begeben muss, wo es alles gibt, was man sich niemals zu sehen wünscht: fett-triefende Mörder-Thüringerwürste samt dazugehöriger fetter Imbissbudenbesitzerin zum Beispiel. Oder schwule Skinheads. Schmitt lässt nichts aus.

Hinter alldem immer die Fragen: Was ist Punksein heute? Nur noch Staffage oder Lebensgefühl? Ist der entfesselte Ostdeutsche am Ende gar der wahre Punk, weil er sich, so jedenfalls Heins Projektion, einen Dreck schert um alles? Was zum Teufel ist aus den Punks von damals geworden? Oliver Maria Schmitts bis an die Toleranzgrenze auf Satire-Höchstdrehzahl laufendes „AnarchoShnitzel“ setzt Peter Heins Gedanken in Sprache um: „Scheiße, dachte ich. Can’t relax in Deutschland.“ Schade eigentlich. CHRISTOPH SCHRÖDER

Oliver Maria Schmitt: „AnarchoShnitzel schrieen sie“. Rowohlt Berlin, Berlin 2006, 346 Seiten, 17,90 €