Frauen in Afghanistan fühlen sich bedroht

Eine Gruppe von vierzehn Parlamentarierinnen aus Kabul hält sich zur politischen Fortbildung in Berlin auf. Sie berichten von zunehmendem Druck durch die Taliban, kritisieren aber auch die Interventionstruppen

BERLIN taz ■ Vor zwei Wochen war die Parlamentsabgeordnete Nasima Niyazi in einem Bus in ihrer Heimatprovinz Helmand im Südwesten Afghanistans unterwegs, da blockierten Taliban die Landstraße. „Ich bin eine Frau, und ich hatte eine Burka an, deshalb haben sie mir nichts angetan. Aber ich bin fast gestorben vor Angst“, sagt Nasima Niyazi. Seither ist sie nicht mehr nach Helmand zurückgekehrt. Zumal sie weiß, dass die Tatsache, eine Frau zu sein, nicht immer hilft.

Vor drei Wochen, berichtet sie, sei eine Frau von den Taliban gekreuzigt worden: Sie hätten ihr einen Stahlnagel durch den Mund getrieben, sie daran aufgehängt und unter den Leichnam einen Zettel gelegt: Dies sei die Strafe dafür, dass ihr Sohn bei der afghanischen Armee diene.

Auch wenn nicht aus allen Provinzen Afghanistans solch schreckliche Geschichten dringen – für die 14 weiblichen Abgeordneten des afghanischen Parlaments, die gerade zehn Tage lang auf Einladung des Auswärtigen Amts in Berlin studieren durften, wie hier Politik gemacht wird, ist die Bedrohung von Leib und Leben in ihrer Heimat Anlass zu wachsender Besorgnis. Für die zunehmenden Aktivitäten der Taliban und deren Unterstützung durch die Bevölkerung gaben sie mehrere Gründe an. Einer sei das Vorgehen der Interventionstruppen. „Im Süden des Landes haben die Truppen auf Verdacht hin ganze Dörfer bombardiert. Bei Hausdurchsuchungen haben sie unseren Ehrenkodex missachtet, wonach ein fremder Mann einer Frau nicht ins Gesicht sehen darf“, kritisiert etwa Rukia Nail aus der westafghanischen Provinz Ghor. Shukriya Isakhel aus der zentralafghanischen Provinz Baghlan fügt hinzu, die Aktionen der ausländischen Truppen hätten mehr Angehörige der Zivilbevölkerung getroffen als Taliban. Das schüre den Hass und stärke den Zulauf für die Islamisten.

Auch mit innenpolitischer Kritik geizen die Abgeordneten nicht. Nasima Niyazi erklärte, Staatschef Hamid Karsai bringe Verwandte und Freunde in Spitzenpositionen. In Helmand sei ein unfähiger und korrupter Gouverneur ernannt worden, gegen den die Bevölkerung rebelliere. Ohnehin sei nicht einzusehen, warum der Gouverneur nicht gewählt werde. Über die Verteilung der staatlichen Gelder scheint es ebenfalls heftige Debatten zu geben. Die Regierung mache eine ethnische Politik, klagt Rukia Nail aus Ghor: Die Paschtunen würden bevorzugt, weil Karsai selbst Paschtune ist. Minderheiten wie die Hasara würden benachteiligt. Das Geld fließe zum großen Teil in den Süden des Landes. Shukriya Isakhel findet diesen Ansatz hingegen nachvollziehbar: Nur durch eine massive und gezielte Wirtschaftsförderung im paschtunischen Süden des Landes und in den Grenzregionen zu Pakistan könne man die jungen arbeitslosen Paschtunen davon abhalten, zu den Taliban überzulaufen. Wirtschaftsförderung und eine bessere Sicherung der Grenze zu Pakistan seien unabdingbar, um den Taliban das Wasser abzugraben.

Fast alle Abgeordneten tragen leichte, durchsichtige Schleier, die immer wieder von ihren Haaren rutschten. Nicht so Roshanak Wardak aus der Provinz Wardak südlich von Kabul. Ihr Kopf ist gut eingepackt, kein Haar zu sehen. Die Zeit des Talibanregimes sei die einzige Zeit gewesen, in der es in Afghanistan absolute Sicherheit gegeben habe, versichert sie resolut. Und die anderen Errungenschaften der Talibanregierung? Die Steinigung von Frauen? Der Zwang zur Verschleierung? Das war richtig, sagt die Ärztin Roshanak Wardak. Das steht so im Koran.

Sie ist mit ihrer Position unter den Abgeordneten in der Minderheit. Doch Andersdenkende können immer weniger entsprechend ihren Vorstellung leben. Denn mit der Regierung Karsai gerät auch eine freiheitlichere Auffassung in Misskredit. „Wir tragen jetzt alle lange, weite Gewänder“, sagt Nasima Niyazi. „Aber nicht, weil wir das so wünschen, sondern weil wir Angst haben.“ ANTJE BAUER