ausgehen und rumstehen
: Nach vielen kostenlosen und -pflichtigen Alkoholbars lassen sich easy Indie-Hits vorausraten

Dank der Musikmesse Popkomm beginnt mein Wochenende schon letzten Dienstag, im Lido, beim Konzert der britischen Band Hot Chip. Abgesehen davon, dass es überhaupt nur noch Konzerte britischer Bands zu geben scheint, sind diese aber auch einfach immer besser als die anderen. Wendet man den kritischen Blick mal ab von deren oftmals durch das Jungs-mit-Gitarre-Modell zur Schau getragenen Wertkonservativismus, hört man erstaunlichere, freiere, selbstbewusstere Musik als anderswo.

Das mag am Aufwachsen mit dem guten englischen Radio oder an der gesellschaftlichen Anerkennung liegen, die der Beruf des Musikers in Großbritannien genießt. Gegen das lässige Rave-Feuerwerk der britischen Elektropopper von Hot Chip mit ihrem kleinen, grün bebrillten Nerd-Engel am Mikrofon jedenfalls wirkte die in der Vorwoche gesehene Performance der amerikanischen Experimentalelektroniker Matmos mit live bearbeitetem Trockeneis und anderem Naturmaterial wie ein Videoabend mit einem Woody-Allen-Film aus den frühen 70ern.

Mit einer Zigarette für Nichtraucher, wie ich sie nenne, besiegele ich bei der anschließenden Konzertnachbesprechung im Barbie Deinhoff’s willentlich das Schicksal meines nächsten Tages. Wie gut, wenn man jemanden hat, der die eigenen Schlangenlinien in die richtigen Bahnen, nämlich nach Hause lenkt. Am Donnerstag führt mich der noch nicht so späte Abend zunächst in eines dieser Hotels, die groß genug sind, um mehrere Kongresse und eine Gala auf einmal in sich aufzunehmen, ohne dass der gemeine Hotelgast etwas davon erfahren muss. In diesem Fall ist das allerdings anders: Der Fernsehsender Pro7 hat zu seiner Popkomm-Veranstaltung eingeladen, und da sich der Sender als eine Art Starkanal profilieren will, müssen alle Geladenen über einen riesigen, taghell ausgeleuchteten roten Teppich laufen, bevor sie sich für den Rest des Abends an einer der zahlreichen kostenlosen Alkoholbars abstellen dürfen.

Wir werden neben dem „Verbotene Liebe“-Cast beim Wodka heimisch, wo mir ein schnell sehr vertrauter Barkeeper zuverlässig Cosmopolitans anreicht. Im VIP-Bereich, der vom niederen Partyvolk nur durch eine Kordel abgetrennt ist und folglich ungehemmt beglotzt, aber dennoch nicht betreten werden darf, streichelt Moderatorin Gülcan das Anzugbein des Kamps-Erben. Irgendwann sind plötzlich auch Tokio Hotel da, und ein ganzer Saal voller Irgendwie-Prominenter wird plötzlich leiser und sendet ehrfürchtig-verstohlene Blicke. Über Bill Kaulitz, das dick geschminkte, unheimlich erfolgreiche Mangamädchen aus Magdeburg, würde hier keiner lachen.

Den anschließenden Besuch des Intro-Intim-Abends im Maria nehme ich dank der Beflissenheit des Barmanns von vorher nur noch als fröhlich waberndes Dunkel wahr. Nur ab und zu blitzen bunte Flecken auf, zum Beispiel dann, wenn sich jemand nähert, der besonders laut lacht, breit grinst oder schreit. Als ich mich irgendwann am Bart des Chefredakteurs eines bekannten Musikmagazins festhalten muss, ist es Zeit fürs Betti.

Am Samstag dann schon wieder Lido, weil’s so schön nah ist und schon wieder eine britische Band spielt, die Rifles aus London. Das Konzert ist wie gewohnt musikalisch hervorragend, wenn auch nicht gerade innovativ. Ich bleibe trotzdem noch zum Karrera Klub, weil mich Freundin K. mit Freigetränken besticht. K. hat sich vorgenommen, mit dieser Veranstaltungsreihe und ihrer Schwärmerei für einen großen Jungen mit einigermaßen flüssigen Tanzbewegungen alt zu werden.

Nachdem alle Versuche, ihr diesen Unsinn auszureden, scheitern und ich den zehnten Indie-Hit in Folge vorausgeraten habe, zeigen die Zeiger auf Pommes rot-weiß. Schwer vorstellbar, dass man sich auch in England die Wochenenden mit Britpop- Discos vertreibt. LORRAINE HAIST