Kamikaze-Camping vor dem Aus

Der Zeltplatz Tentstation hat in der ersten Saison jeden Tag 100 Besucher gezählt. Die Organisatoren planen weiterzumachen. Doch ein Bürgerbegehren will das Schwimmbad auf dem Gelände sanieren

Von Elisabeth Rank

Am Samstag sagte der Kalender: Jetzt ist Herbst. Normalerweise holt man nun die Schals vom Dachboden und verstaut dafür das Zelt vom Sommerurlaub in der hinteren Ecke. Nicht so Hannah und Tine aus Greifswald. Die beiden sitzen vor einem pinkfarbenen Zweimannzelt mitten in Berlin und frühstücken. Ein leichter Wind schaukelt die Diskokugel, die am Sprungturm des Schwimmbeckens hängt, und kleine Lichter hüpfen über die Wiese, auf der die beiden Mädchen ihr Zelt aufgeschlagen haben. „Wir besuchen unsere Großeltern und hatten keine Lust, denen auf der Pelle zu hocken“, erzählt Tine. Im Internet sind die beiden auf die Tentstation gestoßen, einem Zeltplatz in Moabit, nicht weit vom Hauptbahnhof.

Noch ungefähr ein Dutzend Zelte stehen auf der großen Wiese neben dem Schwimmbecken, das mit Sand gefüllt und zu einem Volleyballfeld umfunktioniert wurde. Im Sommer war es hier viel voller. Da schlief schwedischer Fußballfan neben holländischem Ehepaar, italienische Jugend neben deutscher Kleinfamilie. Nach der ersten Saison blicken die Organisatoren auf rund 15.000 Übernachtungen zurück, das sind im Durchschnitt jeden Tag 100 Gäste. Doch die Zukunft ist ungewiss.

In 20 Tagen läuft der Pachtvertrag für das Gelände in der Seydlitzstraße aus. Eigentlich war die Tentstation ein Zwischennutzungsprojekt. Jetzt wollen die Organisatoren aber weitermachen. Man schreibe schwarze Zahlen, sechs Leute wurden fest angestellt und man habe „durchweg positive Resonanz bekommen“, erzählt Jessica Zeller, die eigentlich Politik studiert hat und im Mai mit drei anderen den Zeltplatz eröffnete. Zur WM seien ganze Familien aus der Nachbarschaft zum Fußballschauen auf den Zeltplatz gekommen. Ein so starker Besuchermagnet wie erwartet sei die WM aber nicht gewesen. Betreiberin Sarah Oßwald sagt: „Natürlich war das ein guter Startschuss, doch hatten wir während der Sommerferien eine höhere Auslastung.“ Dies sei ein Zeichen dafür, dass der Zeltplatz durchaus ein Projekt mit Zukunft sei.

Der Bezirk sieht das anders. Das 2002 geschlossene Stadtbad, dessen Gelände die Tentstation nutzte, soll wiedereröffnet werden. Ein Bürgerbegehren fordert die vollständige Sanierung des Bades bis Sommer 2007. Auch die Stadträtin für Bildung und Kultur, Dagmar Hänisch, sagte der taz: „Das Interesse des Bezirkes ist die Sanierung des Sommerbades. Dies fehlt uns als soziale Einrichtung sehr.“ Die Sanierung des Bades würde mindestens 2,5 Millionen Euro kosten. Eine Entscheidung werde bis Anfang 2007 erwartet.

Die Betreiber der Tentstation jedoch wollen sich nicht aus der Ruhe bringen lassen. An sich zu glauben und sich durchzubeißen, das hätten sie auf jeden Fall gelernt. Mitorganisator Peter Barth resümiert: „Natürlich war die Tentstation ein Kamikaze-Projekt, aber das ist die Stadt ja auch.“ Man hoffe darauf, dass Berlin sich den Begriff Zwischennutzung nicht nur groß auf die Fahne schreibe, sondern dessen „kreatives Potenzial von unten“ wirklich erkenne. Bis zum 4. Oktober ist die Tentstation noch geöffnet. Am 30. September gibt es eine offizielle Abschlussparty. Was dann passiert, wissen die Betreiber auch noch nicht, man habe keinen Plan B. Barth betont aber: „Dieser Ort ist einfach ein Star. Für den muss man sich ins Zeug legen.“ Abwarten und Wintertee trinken wird bei dem Gegenwind auch nicht reichen.